Rempeleien PDF Drucken

Kommentare zu "Rempeleien"

Als der Wecker auf Takeos Nachttisch mit seiner Arbeit begann, für die er programmiert worden war, erwachte der Junge aus seinen Träumen. Schlaftrunken tastete er nach dem Störenfried, schaltete ihn ab und direkt danach die Nachttischlampe ein, so dass sein Bett in grelles Licht getaucht wurde. Blinzelnd gewöhnten sich seine Augen an die Helligkeit.

Der Schüler schlug die Bettdecke zur Seite, setzte sich auf und reckte sich ausgiebig. Verschlafen rieb er sich die Augen. Wie gerne wäre er jetzt noch eine Weile liegen geblieben, aber er musste in die Schule. Der Gedanke, dass das Wochenende nicht mehr weit entfernt war, tröstete ihn ein wenig.

Noch einmal streckte er seine Arme weit in die Luft, dann gähnte er herzhaft, knöpfte sich langsam die Pyjamajacke auf und streifte sie über seine Schultern. Anschließend tappte er auf nackten Füßen ins Bad und legte dort den Lichtschalter um. Er fand es total genial, ein eigenes Badezimmer zu haben.

Etwa eine halbe Stunde später machte sich Takeo auf den Weg ins Esszimmer. Das hellblaue Hemd und das hellblaue Halstuch sowie die schwarze Stoffhose, die zu seiner Schuluniform gehörten, hatte er bereits angezogen. Den dunkelblauen Blazer, der über dem Hemd getragen wurde, hatte er lässig um die Schultern gelegt. Ihn würde er erst nach dem Frühstück anziehen.

Seine Eltern saßen bereits am Tisch und unterhielten sich über den heutigen Tagesablauf. Das war ein festes Prozedere während der ersten gemeinsam eingenommenen Mahlzeit. Takeo mochte dieses Ritual, denn so bekam er auch mit, was seine Eltern den ganzen Tag trieben.

„Am Montag ist die Präsentation unseres neuen Spielzeuges. Bis dahin muss noch allerhand vorbereitet werden. Und ich kann euch garantieren, das Ding wird einschlagen wie einhundert Bomben. Deswegen werde ich wohl auch heute abend nicht zum Abendessen zu Hause sein“, verkündete Kou Minami, der Vater von Takeo.

„Ich werde heute endlich mit der Fortsetzungsgeschichte für den ‚Morning star’ fertig werden. Es wird zwar noch eine ganze Weile dauern, bis das Ende gedruckt wird, aber dann habe ich den Kopf wenigstens für neue Projekte frei“, sagte Aya Minami glücklich.

„Und wie sieht es bei dir aus?“, erkundigte sich Kou lächelnd bei seinem Sohn, der die frisch gefüllte Kaffeetasse ansetzte und einen Schluck trank.

„Nichts besonderes. Keine Klassenarbeiten oder sonstigen Tests. Aber ich werde heute die ersten Übungsblätter bekommen, so dass ich schon mal anfangen kann, den versäumten Stoff aufzuholen.“

„Das ist gut“, nickte sein Vater. „Woher bekommst du sie?“

„Von Chizuru. Das ist das Mädchen, neben dem ich sitze. Sie kopiert mir die Arbeitsblätter und geht mit mir den Stoff durch, damit ich ihn auch verstehe.“

„Sehr nett von ihr. Es ist wichtig, dass man von so vielen wie möglich Unterstützung erhält, wenn man neu an eine Schule kommt. Denn immerhin hat man dann eventuell nicht nur Unterricht verpasst, sondern muss auch noch mit den neuen Klassenkameraden und der ungewohnten Umgebung klar kommen“, stellte Kou fest.

„Weißt du denn schon, was für ein neues Projekt du anfangen möchtest?“, fragte Takeo seine Mutter.

„Mir schwebt da eine Liebesgeschichte zwischen einem Sumo-Ringer  und einem Blumenmädchen im alten Japan vor“, erklärte Aya.

„Wie romantisch.“ Kou grinste.

Es wurde Zeit. Takeo steckte seine Brotdose und seinen Tee ein und zog die Uniformjacke an. Auch sein Vater machte sich auf den Weg. Er würde von seinem Chauffeur ins Büro gefahren werden. Ein anderer Bediensteter würde sich dann darum kümmern, dass Minami junior wohlbehalten in der Schule landete.

Früher war Takeo ab und zu mit in die Spielzeugfirma seines Vaters genommen worden. Auch heute durfte er in den Ferien manchmal mit in den Betrieb fahren. Er liebte diese Spielzeugfabrik einfach. Kou erwartete von seinem Sohn, dass er später den Laden übernahm und leitete und der Jugendliche hatte überhaupt nichts dagegen einzuwenden. Es machte ihm heute schon Spaß, seinem Vater zur Hand zu gehen, indem er Lieferkonditionen der Roh- und Hilfsstofflieferanten heraussuchte oder Bestellungen von Büromaterialien tätigte. Was Takeo am meisten Spaß machte und auch ungeheuer faszinierte, waren Bestellungen, die er für Filialen auf anderen Kontinenten tätigte. Das war immer sehr aufregend.

Aber bis zu den nächsten Ferien dauerte es noch eine Weile und in der Schulzeit konnte er es glattweg vergessen, dass sein Vater ihn mit zur Arbeit nahm. Kou wünschte sich, dass sein Sohn einen guten Schulabschluss hinlegen würde und deshalb hatte er ihn auch auf diese Privatschule geschickt.  

Bevor es hinaus zum Auto ging, wurde Takeo von Hiru, dem Majordomus, aufgehalten.

„Wenn du heute abend nach Hause kommst, dann habe ich eine Überraschung für dich.“

„Etwa wieder so etwas tolles wie den Griesbrei vor ein paar Wochen“, wollte Takeo wissen. Damals hatte sich Hiru einen Spaß daraus gemacht, das Essen, was Takeo am meisten hasste, zu servieren. Natürlich hatte die Küche noch etwas anderes gekocht, dass eher dem Geschmack des Jungen entsprach. Aber der Schüler hatte nicht schlecht geguckt, als er die Pampe entdeckte.

„Nein, etwas sehr sehr viel schöneres. Ich kann dir schon jetzt sagen, dass du dich darüber freuen wirst.“

„Na, dann bin ich gespannt“, meinte der Junge und ging zum Wagen, der schon vor der Haustür bereit stand. Der Fahrer hielt dem Schüler die Beifahrertür auf und Takeo stieg ein. Er freute sich bereits darauf, Chizuru zu sehen, mit der er sich gut verstand und die ihm sehr sympathisch war. Eventuell würde er auch die Zwillinge treffen.

Entspannt lehnte er sich auf dem Sitz zurück und betrachtete auf der Fahrt zur Schule den Verkehr. Er war nicht so stark, so dass er heute garantiert rechtzeitig zum Unterricht anwesend sein würde. In der ersten Woche gleich an zwei Tagen zu spät zu kommen, wäre auch mehr als unangenehm gewesen.

*****

Vor der Lehranstalt angekommen, verabschiedete sich der Junge von seinem Fahrer und gab ihm die Uhrzeit durch, zu der er heute Schulschluss haben würde. Der Fahrer teilte ihm mit, dass er rechtzeitig da sein werde und fuhr los.

Langsam passierte Takeo das Eisentor und kramte in seiner Schultasche. Er wollte sich schon einmal die Bücher herausholen, die er für die erste Stunde benötigte. Aus den Augenwinkeln sah er dabei, wie von vorne jemand heranstürmte, doch bevor er noch reagieren konnte, war es schon zu spät. Der Schüler prallte gegen ihn und beide stürzten zu Boden.

„Wie wäre es, wenn du das nächste Mal guckst, wo du …“, begann Takeo, doch er beendete den Satz nicht. Natürlich kannte er den Jungen, der in ihn hinein gerannt war. Dieses Mal war er nicht so freizeitmäßig gekleidet, sondern trug die gleiche Uniform, wie auch Takeo sie anhatte. Es war der fremde Junge, der ihn vor der Schule angesprochen und sich dann aus dem Staub gemacht hatte, ohne sich noch weiter um Takeo zu kümmern.

„Tut mir leid“, meinte der fremde Schüler und stockte ebenfalls, da auch er seinen Unfallgegner erkannt hatte.

„Das ist ja eine Überraschung“, meinte Takeo. „Du gehst also auch auf diese Schule.“

„Das ist ja auch nicht schwer zu erkennen“, antwortete der andere Junge und zupfte an seinem Hemd. Dann suchte er die Bücher zusammen, die verstreut auf dem Weg herum lagen. Auch aus Takeos Schultasche waren die Schulbücher gefallen und auch er suchte sich seine Bücher wieder zusammen und steckte sie zurück in die Tasche.

„Wieso hattest du gestern keine Schuluniform an?“, wollte Takeo wissen.

„Praktikum.“

Takeo beschloss, nicht weiter nachzufragen. Stattdessen wollte er von dem fremden Schüler wissen, warum er sich nach ihm erkundigt hatte.

„Ich habe gehört, dass du neu auf diese Schule gekommen bist und wollte einfach nur gucken, wer du bist.“ Selbst in den Ohren des Jungen hörte sich die Antwort ziemlich unglaubwürdig an.

„Komm, verarsch mich nicht“, sagte Takeo. „Da hat doch etwas anderes dahinter gesteckt.“

„Ich weiß überhaupt nicht, was du meinst“, entgegnete sein Gesprächspartner. „Außerdem fängt mein Unterricht jetzt an. Du solltest dich auch beeilen.“ Und damit spurtete er zum Schulgebäude und ließ einen verblüfften Takeo Minami zurück.

Du kannst nicht immer vor mir davon laufen, dachte sich der neue Schüler. Irgendwann wirst du mir nicht mehr aus dem Weg gehen können und dann möchte ich wissen, was das alles zu bedeuten hat. Je früher, desto besser.

Missmutig setzte er seinen Weg zum Schulgebäude fort. Schon wieder war die allererste Begegnung an diesem Morgen in der Carlton Jouchi Daigaku nicht gerade vielversprechend gewesen. Takeo fragte sich ernsthaft, ob es an jedem Morgen so mies beginnen würde. Jetzt sehnte er mehr denn je das Wochenende herbei.

In der ersten Stunde an diesem Tag stand Musik auf dem Stundenplan. Allerdings fand die Stunde im Gebäude B statt. Takeo entschloss sich, durch den Park zum anderen Gebäude zu laufen. Er war eben dort angekommen, als er sich daran erinnerte, dass Chizuru ihm gezeigt hatte, wo sich der Raum des Musikunterrichtes befand. Er war im dritten Stockwerk zu finden.

Takeos Laune sank immer mehr in den Keller. Warum war er nicht direkt im Gebäude A geblieben und hatte durch den Glasgang im dritten Stock das Gebäude gewechselt? Logisch, weil er zu blöd gewesen war, vorher daran zu denken, wo Musik unterrichtet wurde. Dieser Schultag fing noch beschissener an als der erste. Am liebsten wäre der Teenager wieder umgedreht und zurück nach Hause gegangen. Doch das Pflichtgefühl siegte und er machte sich an den Treppenaufstieg zum Musikzimmer.

*****

Noch vor der ersten Schulstunde stand Chiyo mit ihrer besten Freundin Inu auf dem Schulhof zusammen. Beide waren eifrig in ein Gespräch über neue Klamotten vertieft, als plötzlich Haruka an ihnen vorbei lief.

„Na, die hat es aber eilig. Anscheinend kann sie gar nicht schnell genug etwas lernen, aber das ist bei ihr ja ohnehin hoffnungslos. Sie wird ewig dumm bleiben“, sagte Chiyo so laut, dass Haruka es hören musste. Die Worte trafen sie bis ins Mark, doch sie ließ sich nichts anmerken  und lief weiter in die Schule hinein.

„Die bringt absolut nichts zustande, da kann sie sich anstrengen, wie sie will“, knurrte Chiyo. Dann wandte sie sich an ihre Freundin. „Hast du schon eine Ahnung, wie ich an den Namen des neuen Schönlings komme?“

Die angesprochene schüttelte den Kopf. „Ich hatte einige Ideen, aber die sind alle viel zu unsicher. Dabei kann irgend etwas schief gehen. Mir ist leider noch nichts eingefallen.“

„Aber mir“, verkündete Chiyo triumphierend. „Wenn der Junge tatsächlich neu ist, dann wird er vermutlich in die erste Klasse gehen. Also gucke ich einfach, welche Räume mit Schülern aus der ersten Klasse besetzt sind und warte.“

„Wir haben aber mehrere erste Klassen“, erinnerte Inu sie. „Willst du vor jeder ersten Klasse einen Posten aufstellen? Das wird ein bisschen viel Arbeit, meinst du nicht?“

„Mist“, schimpfte Chiyo, „der Plan wäre gut gewesen. Dann muss ich eben verstärkt die Augen offen halten und darf keine Zeit verlieren, wenn ich ihn das nächste Mal sehe. Ich muss ihn haben, sonst drehe ich durch. Ich werde mich schon mit ihm verabreden. Und heute wird Phase eins des Vorhabens ‚So angele ich mir den attraktivsten Jungen der Schule’ ausgeführt. Da darf absolut nichts verkehrt laufen.“

„Dann wünsche ich dir viel Glück. Obwohl ich ihn auch gerne als Freund haben würde“, seufzte Inu sehnsüchtig.

„Keine Angst“, grinste ihre Freundin sie an, „du kannst ihn haben, wenn ich ihn zu langweilig finde.“

*****

Wie fast in jeder Freistunde befanden sich die Sakurai-Zwillinge im Schülercafé der Stadt Carlton. In einer längeren Pause zwischen zwei Schulstunden war das der ideale Platz, um sich irgendwo aufzuhalten. Das Café lag nicht sehr weit von der Schule entfernt und man konnte sehr schnell dorthin laufen, eine Kleinigkeit essen und trinken und wieder den Weg zurück zum Jouchi Daigaku nehmen.

Außerdem gab es noch zwei weitere Gründe, sich hier einzufinden. Die Torten und das Gebäck waren einfach fantastisch. Am allermeisten liebten die beiden Jungen den Schokoladenkuchen, der hausgemacht war. Sie wollten sich schon einmal das Rezept geben lassen, waren mit ihrem Vorhaben allerdings gescheitert. Die Zubereitung wollte man ihnen nicht verraten.

Der zweite Grund, warum man dieses Café unter allen Umständen aufsuchen sollte, war die Bedienung. Sie hieß Mary Westlake und war nicht nur schnell, aufmerksam und kompetent, sondern auch jemand, mit dem man sehr viel Spaß haben konnte. Mary kümmerte sich um ihre Gäste und das ging über das einfache Bestellungen aufnehmen, an den Tisch bringen und kassieren hinaus. Manchmal bekam der Gast, wenn er das Café verließ, noch ein kleines Stückchen eines Kuchens zum Probieren mit auf den Weg. Wenn ein Gast sich partout nicht zwischen mehreren Kuchen entscheiden konnte, dann servierte Mary ihm von jedem Kuchen, der für den Gast in die engere Wahl kam, ein kleines Stück. Dieses konnte er dann probieren und sich anhand der Kostproben für eine Sorte entscheiden. So wurde ihm die Wahl leichter gemacht. Und die Kunden schätzten diesen Service sehr. Sie empfahlen das Café weiter und auf diese Weise strömten immer mehr Leute in das Haus, um hier zwischendurch einen Kaffee zu trinken oder etwas zu essen.

Makoto und Tetsuya gingen sogar noch einen Schritt weiter. Sie flirteten hemmungslos mit der Bedienung, wenn sie allein in dem Laden waren, was während der Vormittagsstunden ziemlich oft der Fall war, denn dann war es hier noch nicht so gut besucht. Und Mary ging auf die Flirts ein, denn sie wusste ganz genau, wie sie gemeint waren. Die Zwillinge zählten mit zu ihren Lieblingskunden.

An diesem Tag hatten beide Jungen jeweils ein Stück Stracciatellakuchen vor sich stehen, der ganz hervorragend schmeckte. Sie besprachen einen Plan, den sie schon eine ganze Zeit lang in ihren Köpfen mit sich herum trugen.

„Also, machen wir das dann?“, wollte Makoto von seinem Bruder wissen.

„Jep“, bestätigte dieser. „Das wird ein riesiger Spaß. Ich meine, sie ist ja auch selber schuld. Warum hängt sie ihre Wäsche auch zum Trocknen nach draußen an die Leine. Da muss sie doch damit rechnen, dass ihr jemand Knoten in die Hosenbeine oder Hemdärmel macht.“

„Und bald wird sie ihre Wäsche nicht mehr nach draußen hängen. Dann wird es nämlich zu kalt. Also sollten wir so schnell wie möglich handeln“, schlug Makoto vor und erntete von seinem Bruder ein Nicken.

Die Rede war von Tanya Baker, die einzige Bewohnerin von Carlton, die ihre Wäsche an der frischen Luft trocknen ließ. In ihrem Garten hatte sie eine Wäscheleine gespannt und sie reizte es so lange aus und hängte ihre gewaschene Kleidung an diese Leine, bis es das Wetter nicht mehr zuließ. Da davon auszugehen war, dass es bald wieder kälter werden und der Winter langsam aber sicher auf den kleinen Ort zukommen würde, war davon auszugehen, dass Tanya nicht mehr allzu oft die freie Natur als Trockenplatz nutzen würde.

„Ich muss mal für unterdrückte Zwillinge“, sagte Makoto und erhob sich von seinem Stuhl.

„Von wem wirst du denn unterdrückt“, wollte Tetsuya wissen.

„Am meisten von jemandem, der ebenfalls hier in diesem Café sitzt.“

Tetsuya blickte sich suchend um. Dann guckte er seinen Bruder an und meinte: „Du solltest echt mal zu einem Medium gehen, wenn du jetzt sogar schon in der Lage bist, Geister zu sehen.“

Makoto seufzte und ging in Richtung der Toiletten. Gegen seinen Bruder kam er einfach nicht an, obwohl er sich bemühte. Doch so sehr Tetsuya ihn auch ärgerte: Makoto wusste, dass er sich in schwierigen Situationen stets blind auf sein Geschwisterpart verlassen konnte. Tetsuya würde für ihn sterben, wenn es notwendig sein sollte. Und umgekehrt galt  das natürlich auch.

Auf dem Weg zum Klo der Jungen kam dem Zwilling Mary entgegen.

„Na, wie ist der Kuchen?“, erkundigte sie sich.

„Fantastisch“, antwortete Makoto. „Übrigens, kannst du  bitte zum Kassieren an unseren Tisch kommen? Wir müssen gleich zu unserer ersten Schulstunde. Makoto bezahlt für uns beide.“

„Ist in Ordnung“, meinte Mary und ging an ihm vorbei.

Makoto freute sich riesig. Schade, dass er Tetsuyas Gesicht nicht sehen konnte, wenn Mary zu ihm kam und von ihm beide Kuchenstücke und beide Milchkaffee bezahlt haben wollte. Er fand es ausgesprochen bedauerlich, dass er in dem Moment nicht dabei sein konnte.

Der Schüler platzte fast vor Neugier, als er den Gastraum wieder betrat. Mary stand hinter dem Tresen und trocknete ein Glas ab.

„Hast du schon kassiert?“, wollte Makoto wissen.

Mary schüttelte den Kopf. „Und wenn du mich reinlegen willst, Makoto, dann solltest du mindestens drei Wochen früher aufstehen als ich. Oder du musst es wirklich so geschickt anfangen, dass ich es nicht merke, aber das wird irre schwer, das sage ich dir gleich.“

Der Junge glaubte, nicht richtig zu hören. Mary hatte seinen Trick durchschaut und ihn als Makoto erkannt. Und das passierte jedes Mal, denn Makoto hatte schon häufiger versucht, seinen Bruder aufs Kreuz zu legen, doch immer wieder durchschaute Mary seine Absichten und ließ sich erst gar nicht auf irgendwelche Experimente ein.

„Wie kannst du uns auseinander halten?“, wollte Makoto wissen.
Mary beugte sich zu ihm vor und flüsterte ihm ins Ohr: „Das wirst du niemals verstehen, weil du keine Frau bist.“

Der Junge zuckte nur mit den Schultern. Das war zwar nicht die Erklärung, die er haben wollte, aber eine andere würde er wohl nicht bekommen. So gut kannte der die Bedienung mittlerweile.

„Ich wünschte, ich wäre mal für kurze Zeit ein, damit ich hinter dein Geheimnis komme“, meinte er zu Mary.

„Du könntest ja ein Kleid anziehen, vielleicht hilft dir das ein bisschen.“

Makoto verzog das Gesicht. „Nein, danke“, winkte er ab und kehrte zurück an den Tisch, wo sein Bruder bereits auf ihn wartete.

„Was hattet ihr beide denn da gerade zu bereden?“, fragte Tetsuya lauernd.

„Das ist ein Geheimnis zwischen Mary und mir.“

„Ich kann sie ja mal fragen“, meinte Tetsuya, hob die Hand und winkte die Bedienung zu sich. Mary verlor keine Zeit und kam sofort zu den Zwillingen.

„Wir wollen gerne bezahlen“, sagte Makoto schnell.

„Und außerdem möchte ich gerne euer Geheimnis erfahren“, fügte Tetsuya hinzu.

„Naja“, druckste Mary herum, während Makoto ihr flehentliche Blicke zuwarf, „eigentlich ist es ihm ja peinlich und ich weiß nicht, ob ich es erzählen soll. Denn es ist etwas, womit du garantiert nicht rechnest, wobei du deinem Bruder aber eventuell helfen könntest.“

Jetzt wurde Tetsuya hellhörig und war noch begieriger darauf, zu erfahren, worum es bei diesem Gespräch zwischen Makoto und Mary gegangen war.

„Wenn ich ihm vielleicht helfen kann, dann sollte ich doch wohl wissen, worum es geht, oder?“

„Bestechende Logik, finde ich“, meinte die Bedienung, ignorierte Makotos heftiges Gewedel mit der Hand, beugte sich über Tetsuya und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Junge riss die Augen auf und starrte seinen Bruder fassungslos an.

„Das macht dann acht Dollar fünfzig zusammen“, sagte Mary. Keiner der beiden Jungen achtete auf sie.

„Du willst was?“, fragte Tetsuya ungläubig.

„Ich will gar nichts“, antwortete sein Bruder und wurde krebsrot im Gesicht.

Makoto stand auf und griff in die Tasche seiner Stoffhose. „Los, wir gehen. Vielleicht haben wir noch Zeit, dir auf dem Weg zur Schule ein Kleid zu kaufen. Das könnten wir dann als deine neue Schuluniform verwenden.“

„Ich will kein Kleid“, protestierte der andere Zwilling. Da hatte er ja mit seiner Bemerkung etwas schönes angerichtete. Soviel war sicher, sein Bruder würde ihn damit noch Wochen aufziehen.

Tetsuya legte das Geld auf den Tisch und beide Brüder verließen das Café und ließen eine leise vor sich hin kichernde Bedienung zurück.

*****

Mit der Situation, in der der junge Ren Ito momentan steckte, konnte er nur sehr schwer umgehen. Der Schüler war von Mädchen umringt, die absolut nicht fassen konnten, was er getan hatte.

„Ehrlich? Du hast Chiyo und Kazumi getrennt, als sie sich geprügelt haben, indem du Chiyo weggezogen hast?“

„Sollte ich vielleicht zulassen, dass sie sich gegenseitig umbringen? In der Stimmung, in der Chiyo gewesen war, hätte das sehr leicht passieren können.“

Die Traube der Mädchen, die sich um den Jungen gescharrt hatte, war sichtlich beeindruckt. Ren hingegen fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut. Er mochte keine derartige Aufmerksamkeit und konnte es überhaupt nicht ausstehen, wenn man um seine Person so ein Getue veranstaltete. Der Schüler stand halt nicht gerne im Mittelpunkt. Das überließ er lieber anderen.

Die Dinge, die er tat, tat er aus reiner Selbstverständlichkeit. Er handelte so, wie er es sich wünschen würde, wenn er an der Stelle desjenigen wäre, dem diese Behandlung zugute kam. Darin sah er nichts großartiges oder heldenhaftes. Das Verhalten der Mädchen war ihm deshalb zutiefst unangenehm. Es gab doch so viele Leute, denen solch ein Rummel um ihre Person sehr behagte. Warum konnten die Mädchen nicht zu diesen Leuten gehen und ihn in Ruhe lassen?

Doch es kam dem Jungen so vor, als sei gerade diese Eigenschaft von ihm etwas, was die Mädchen magisch anzog. Offensichtlich mochten sie Helden, die bescheiden auftraten und ihre Taten als keine große Sache abtaten.

Ren erinnerte sich noch gut an eine bestimmte Situation. Damals hatte er beobachtet, wie ein Mann einer Radfahrerin die Tasche weggerissen hatte. Die Frau war mit ihrem Fahrrad gestürzt und Ren hatte nicht lange gezögert, sondern sofort die Verfolgung aufgenommen. Als er dem Dieb näher gekommen war, hatte er mit einer Murmel, die er in seiner Tasche bei sich getragen hatte, nach dem Kerl geworfen und auch exakt seinen Hinterkopf getroffen, so dass der Mann die Tasche der Frau fallen gelassen hatte. Nun hatte Ren sich entscheiden müssen. Kümmerte er sich um die Tasche, so wäre der Kerl entkommen. Wenn er den Dieb weiter verfolgte, dann könnte jemand anderer die Tasche finden und mitnehmen. Also hatte sich Ren dazu entschlossen, sich um die Tasche zu kümmern.

Er hatte sie aufgehoben und war zum Ort des Geschehens zurück gefahren und hatte der Frau, die sich zum Glück nicht verletzt hatte, ihre Tasche überreicht. Sie wollte ihm eine Belohnung geben, aber Ren hatte dankend abgelehnt. Auch die Lobeshymnen der Leute, die auf ihn einredeten, wie mutig er doch gewesen sei, hatten nur bewirkt, dass er so schnell wie möglich vom Tatort verschwinden wollte. Schließlich war es ihm gelungen, sich unter einem Vorwand zu entfernen.

Und jetzt war es ebenso wie damals. Ren wurde es einfach zuviel. Aber aus Erfahrung wusste er, dass er sich nur durch eine List aus der ihm von allen Seiten entgegenströmenden Aufmerksamkeit würde retten können.

Warum erfanden Leute eigentlich immer irgendwelche unsinnigen Sachen, aber Dinge, die man manchmal sehr gut gebrauchen konnte wurden immer noch nicht auf den Markt gebracht. Ren wünschte sich eine Art Gürtel, den man sich umschnallen konnte und der mit einem speziellen Knopf bestückt war. Drückte man diesen, so wurde das Spektrum, in dem das menschliche Auge jemanden erfassen konnte, verschoben, so dass der Träger des Gürtels für alle anderen Leute unsichtbar war. Wenn man auf den Mond fliegen konnte, dann musste doch auch so etwas möglich sein.

Aber vermutlich würde es noch Jahre dauern, bis so ein Gerät erfunden wurde – wenn überhaupt. Aus diesem Grund musste er sich etwas anderes überlegen, um sich von diesen ganzen Mädchen zu lösen. Und er verwendete seine übliche Ausrede.

„Meint ihr, ihr könntet ein paar Minuten ohne mich auskommen? Ich würde gerne aufs Klo.“

„Sag mal, hattest du gar keine Angst vor Chiyos Reaktion? Hast du gar nicht daran gedacht, was sie mit dir hätte machen können, wenn du sie wieder losgelassen hättest?“

„Was hätte sie denn tun sollen? Mich etwa auch verprügeln?“

Nahm diese Diskussion denn überhaupt kein Ende. Ständig und von allen Seiten wurde er mit Fragen bombardiert. Fragen, die er gar nicht beantworten wollte, weil sie ihm einfach nur auf die Nerven gingen. Er wünschte sich, dass sich der Boden unter ihm öffnen und ihn verschlucken würde. Dann wäre er diese Plagegeister endlich los.

Noch nicht einmal seine Eltern konnten seine Haltung nachvollziehen, dabei hatte Ren anfangs gehofft, dass sie ihm den Rücken stärken würden. Diese Hoffnung hatte er aber schon vor sehr langer Zeit aufgegeben. Zu peinlich war für ihn gewesen, was sich seine Eltern erlaubt hatten.

Damals hatte ein Arbeitskollege seines Vaters die Brieftasche, die mit sehr viel Geld gefüllt war, verloren. Ren hatte dem Kollegen die Brieftasche zurückgebracht, aber die Belohnung, die man ihm geben wollte, abgelehnt. Doch er hatte nicht mit der Hartnäckigkeit vom Kollegen seines Vaters gerechnet. Denn dieser war ihm bis nach Hause gefolgt und hatte dann an der Wohnungstür der Familie Ito geklingelt. Dort hatte er Ren das Geld, das er ihm schenken wollte, förmlich aufgedrängt. Aber der Junge hatte sich weiterhin geweigert, etwas anzunehmen. Und dann kam das Unfassbare. Sein eigener Vater hatte für ihn das Geld in Empfang genommen.

Ren hatte sich für seine Eltern geschämt. Wie konnten sie so etwas tun, wo sie ganz klar mitbekommen hatten, dass er keinen Lohn für seine Tat haben wollte? Und auch von seinen Eltern hatte er das Geld nicht angenommen, was diese überhaupt nicht verstehen konnten.
Wenn sie dann von irgendwelchen guten Taten erfuhren, bei denen Ren nichts für sein Handeln angenommen hatte, war er nur auf Unverständnis gestoßen. Und je mehr sein Vater auf ihn einredete, dass nichts schlechtes dabei sei, etwas für Mühen, die man auf sich genommen hatte, anzunehmen, umso unwohler fühlte sich Ren.

„Also“, sagte er zu den Schülerinnen, „ihr solltet mich jetzt wirklich aufs Klo lassen, wenn ihr hier mitten unter euch keine unangenehme Überraschung von meiner Seite erleben wollt.“

Ein paar Mädchen kicherten und der Junge drängte sich durch die Menge und ging auf das Schulgebäude zu. Und er merkte ganz genau, dass ihm ein paar Mädchen folgten. Das ging nun aber wirklich entschieden zu weit. Seine Geduld war am Ende.

Er drehte sich abrupt um und fuhr die Mädchen an: „Wollt ihr mir etwa aufs Klo nachkommen? Kann man nicht mal beim Pinkeln in Ruhe gelassen werden?“

Das hatte offenbar gesessen, jedenfalls machte keine der Schülerinnen einen Versuch, ihm in das Innere der Schule zu folgen. Und Ren dachte nicht im Traum daran, zu ihnen zurückzukehren. Er dachte nicht einmal daran, die Toilette aufzusuchen. Sein Vorhaben war ein ganz anderes.

*****

Den Weg, den Ren zurücklegte, kannte er im Schlaf. Er spurtete hoch in den dritten Stock und ging dort durch den gläsernen Gang, der zum Gebäude B führte. Zum Glück konnte er nicht von den Mädchen, die sich noch auf dem Schulhof befanden, gesehen werden, denn der Schulhof befand sich auf der hinteren Seite.  

Als er im anderen Gebäude angekommen war, ging er ein Stück den Gang entlang und vergewisserte sich, dass ihn niemand beobachtete. Dann holte er ein Stück gebogenen festen Draht aus seiner Hosentasche und stocherte damit im Schlüsselloch einer Tür herum. Nach einer Weile ertönte ein leises Klacken und die Tür ließ sich öffnen. Schnell schlüpfte Ren hinein und schloss die Tür wieder hinter sich. Nun war der Raum, in dem er sich befand, in vollkommene Dunkelheit gehüllt. Es gab hier kein Fenster oder eine andere Öffnung, durch die Licht hätte fallen können.

Der Schüler drückte auf einen Schalter und Neonlampen flackerten auf. Suchend blickte Ren sich um und hatte schnell den Haken entdeckt, der am Ende einer langen Stange angebracht war. Der Junge ergriff die Stange, stellte sich in die Mitte des Raumes und blickte an die Decke. Dort war ein kleiner Ring aus Eisen zu sehen, der in etwas hölzernes eingelassen war..

Ren führte den Haken durch den Ring und zog kräftig. Augenblicklich schwang eine Klappe aus Holz seitlich nach unten und eine Leiter wurde sichtbar. Ren befreite den Haken vom Ring und angelte nach der untersten Sprosse. Als der Haken diese erfasst hatte, zog Ren die Stange nach unten und die Leiter glitt langsam zu Boden. Der Schüler stellte die Stange wieder dort hin, wo er sie weggenommen hatte. Anschließend stieg er die Sprossen nach oben, bis er an eine Falltür gelangte. Er zog den Riegel zurück und stemmte sich mit der Schulter gegen die Tür, die nach oben glitt und einrastete.

Frische Luft strömte dem Jungen entgegen und über sich konnte er den blauen Himmel sehen, von dem aus die Sonne mit voller Kraft auf das Dach der Schule schien. Ren kletterte auf das Dach, beugte sich nach vorne und zog die Leiter nach oben, bevor er die Falltür wieder schloss.

Der Junge atmete erleichtert auf. Endlich war er hier. Jedesmal, wenn ihm alles zuviel wurde und er sich überfordert fühlte und einen Ort der Ruhe und Entspannung benötigte, kam er hier auf das Dach der Schule. Um hier zu sein schwänzte er sogar gelegentlich den Unterricht. Hier würde ihn keiner finden, weil sich niemand vorstellen konnte, dass ein Schüler so wahnsinnig war, sich auf diesen oberen Abschluss des Schulgebäudes zu wagen.

An diesem Ort fühlte Ren sich wohl und sicher. Er schloss die Augen und genoss die Wärme, die die Sonnenstrahlen durch seinen Körper schickten. Lange stand er so da. Dann öffnete er die Augen wieder und blickte sich um. Er entdeckte neben sich noch ein weiteres großes Dach, das zum anderen Gebäude der Schule gehörte. Auf einer Querseite befand sich nichts. Lediglich in weiterer Entfernung konnte er ein Dach sehen. Auf der anderen Seite stand ein alter Schuppen, dessen Dach viel tiefer war als das der Lehranstalt.

Ren setzte sich im Schneidersitz auf das Dach und dachte darüber nach, wie er diesen Ort entdeckt hatte. Es war vor mehreren Jahren gewesen. Eines Tages hatte er den Hausmeister beobachtet, wie er häufiger in den Raum ging, in dem sich die Stange befand. Und er hatte bemerkt, dass der Hausmeister diesen Raum immer sorgfältig abschloss und den Schlüssel mitnahm. Rens Neugier war geweckt.

Irgendwann hatte er sich aus einem Draht einen Dietrich geformt und versucht, die Tür damit zu öffnen. Es war sehr mühselig gewesen und hatte irre lange gedauert, aber schließlich gab die Tür nach. Und seitdem war es ihm immer schneller gelungen, die Tür zu öffnen. Zum Glück war er bisher noch nie dabei erwischt worden, wie er sich auf diesem Dach eine Auszeit vom anstrengenden Schulleben gönnte.

Als er das erste Mal die Tür erfolgreich geöffnet und den Raum betreten hatte, hatte er wohl die Stange gefunden, aber nicht gewusst, wofür dieser Gegenstand nützlich sein sollte. Es hatte eine halbe Ewigkeit gedauert, bis er auf die Idee gekommen war, einmal an die Decke zu gucken und selbst dann hatte er noch mindestens eine halbe Stunde die Decke mit den Augen abgesucht, ehe ihm ein Licht aufgegangen war, zu was man die Stange hatte verwenden können.

Nachdem er des Rätsels Lösung vollständig aufgedeckt hatte und erkennen musste, dass dieser Zugang auf das Dach der Schule führte, war er vollkommen aus dem Häuschen gewesen. Das Dach hatte ihn von Anfang an fasziniert. Es gab einfach keinen schöneren Platz. So oft es ihn danach gelüstete, war er hier hinauf gekommen, um sich zu entspannen.

Aus den Augenwinkeln nahm Ren eine Bewegung wahr, die ihn in seinen Erinnerungen unterbrach. Und dann sah er sie. Zuerst lugten sie nur neugierig um die Ecke, aber dann wurden sie mutiger und gingen langsam und majestätisch auf ihn zu. Offenbar hatten sie ihn erkannt.

Bei den ersten Malen, die er auf dem Dach verbracht hatte, hatten sie sich nicht blicken lassen. Erst mit der Zeit hatten sie sich ihm zu erkennen gegeben. Zuerst war es nur eine, dann war eine zweite hinzu gekommen,  danach eine dritte und schließlich waren sie zu etwas mehr als einem Dutzend angewachsen. Wahrscheinlich flüchteten auch sie sich hierher und das schon eine ganze Zeit lang. Aber sie gaben ihm zu verstehen, dass es in Ordnung war, wenn auch er sich hier befand.

Ren lächelte und schaute wieder nach vorne in den Himmel, um ihnen nicht den Eindruck zu vermitteln, dass er sie beobachtete.

Schließlich hatte ihn die erste Katze erreicht. Sie war schwarz-weiß gefleckt, strich um ihn herum und rieb ihr Gesicht an seinem Rücken. Weitere Katzen folgten der ersten. Sie umringten ihn, aber das war dem Schüler wesentlich lieber, als wenn es sich um Menschen gehandelt hätte. Katzen ließen sich nichts sagen, sondern waren frei und hörten auf niemanden. Sie suchten sich aus, was sie tun wollten und gingen dorthin, wo es ihnen gefiel. Ren liebte diese Tiere. Er hatte eine ganz besondere Beziehung zu Katzen. Wann immer Katzen in der Nähe von ihm waren, fühlten sie sich fast magisch von ihm angezogen. Sie kamen zu ihm, als wüssten sie, dass sie vor ihm nichts zu befürchten hatten. Er ließ sie gewähren und bewegte sich nicht, wenn sie ihn umkreisten und erst, wenn sie ihn durch Berührungen mit ihrem Kopf dazu aufforderten, streichelte und kraulte er sie.

Mit diesen Vierbeinern als Gesellschaft konnte er stundenlang hier verweilen. Er hielt einem Tiger die offene Hand hin und sofort schmiegte dieser seine Wange an Rens Handfläche und markierte so sein Revier.

Natürlich blieb den anderen Schülern nicht lange verborgen, dass ihn mit Katzen etwas besonderes verband. Doch sie konnten es sich nicht erklären und es auch nicht einordnen und deshalb galt Ren bei den meisten von ihnen als sonderbar und verschroben. Aber es machte ihm überhaupt nichts aus, wenn sie über ihn tuschelten und lachten, ihm sonderbare Blicke zuwarfen und ihm irgendwelche Titulierungen hinterher riefen. Ren wusste, wer seine wahren Freunde waren und auf wen er zählen konnte.

Er legte sich auf den Rücken und genoss die Sonne. Fast augenblicklich sprangen drei Katzen auf seinen Körper und machten es sich auf seiner Brust, seinem Bauch und auf seinen Beinen bequem. Ren verscheuchte die Vierbeiner nicht. Sie waren bei ihm und das machte ihn glücklich.

*****

„Also, in Biologie brauchst du definitiv keine Nachhilfe“, schmunzelte Kazuki. Er stand mit seiner Klassenkameradin Haruka in der Pause im Park und spielte auf die vergangene Schulstunde an. Haruka war zwar zu scheu gewesen, um sich bei Fragen zu melden, aber wenn sie aufgerufen wurde, konnte sie sofort die richtige Antwort nennen. Ihr Lehrer hatte dem Mädchen geraten, sich doch von sich aus zu melden, wenn sie etwas wissen sollte, aber Kazuki wusste genau, dass Haruka diesen Mut einfach nicht aufbrachte.

„Ja“, seufzte die Schülerin, „wenigstens etwas, in dem ich gut bin.“

„Hast du den Typen von neulich wieder gesehen?“, wollte Kazuki wissen, doch Haruka schüttelte den Kopf. Nachdem der fremde Kerl so vehement auf sie eingeredet hatte und verschwunden war, hatten sie beide überlegt, wer das gewesen sein mochte. Weder das Mädchen noch ihr Mitschüler kannten ihn. Kazuki hatte die Vermutung geäußert, dass es sich vielleicht um jemanden gehandelt hatte, der einfach nur gerne schwächere Schüler herunterputzte. Haruka sollte ihn einfach vergessen und diesem Rat folgte sie nur allzu gerne.

„Ich bin heute morgen an Chiyo vorbei gelaufen“, sagte Haruka leise. Kazuki wusste sofort, was das bedeutete, denn er kannte Chiyo und ihre Gabe, Dinge direkt und ohne Umschweife auszusprechen, genau.

„Hat sie wieder eine dumme Bemerkung gemacht?“, wollte er wissen, doch im Grunde kannte er die Antwort bereits. Seine Mitschülerin musste nicht erst betreten zu Boden schauen.

„Lasse sie einfach reden. Du kennst sie ja. Sie muss ständig über jeden herziehen. Du bist in ihren Augen weniger wert als sie, aber die Wahrheit ist, dass es sich genau umgekehrt verhält. Du bist nur schüchtern und das sind ganz viele andere auch. Das ist nun mal so und da ist auch nichts gegen zu sagen. Sie hingegen ist sehr viel schlimmer. Sie ist skrupellos anderen Jungs gegenüber. Das könnte sie ändern, aber sie denkt gar nicht daran, denn dann würde ihr tolles Leben, von dem sie denkt, dass sie es hat, beendet sein. Im Grunde ist sie sehr viel armseliger, als sie es dir vorwirft.“

Haruka lächelte ihn dankbar an. Dann nahm sie ihr Butterbrotpapier und wickelte dessen Inhalt aus. Kazuki schaute neugierig auf die beiden hellen Kuchenstücke, die zum Vorschein kamen.

„Magst du?“ Die Schülerin streckte ihre Hand aus und der Junge nahm sich ein Stück und biss herzhaft hinein. Es schmeckte nach saftiger Ananas und war nicht so trocken, wie es sonst bei Kuchen dieser Art der Fall war. Dennoch hatte das Stück eine feste Konsistenz und war nicht zermatscht. Der Teenager war sehr begeistert.

„Das ist fantastisch. Bei welchem Bäcker hast du das gekauft?“

„Es ist nicht vom Bäcker“, sagte Haruka leise und druckste ein wenig herum, bevor sie fortfuhr: „Ich habe ihn selber gebacken.“

Sie erwartete, dass ihr Mitschüler ihr nicht glauben und wenigstens einmal nachfragen würde, denn er stand mit offenem Mund vor ihr und vergaß vollkommen, seine Kaubewegungen weiter auszuführen. Doch mit seiner Reaktion auf ihre Mitteilung hätte sie niemals gerechnet.

„Mann, und du sagst, Biologie sei das einzige, worin du gut bist. Offensichtlich bist du in noch viel mehr Gebieten ziemlich gut. Was hast du mir denn noch alles verschwiegen?“

Der Twen blickte scheu zu ihm hoch und wurde krebsrot. Sie wusste überhaupt nicht, wie sie mit Lob umgehen sollte, denn das bekam sie so gut wie nie. Irgendwo in einer Ecke ihres Körpers freute sie sich über diese Worte und sie freute sich noch mehr, weil sie von Kazuki kamen.

„Nun ja, ich koche und backe sehr gerne.“

Der Junge nickte nur und sagte nichts, sondern blickte sie nur stumm an, was sie noch unsicherer machte, als sie ohnehin schon war. Was erwartete ihr Mitschüler von ihr? Schließlich fuhr sie fort: „Das mache ich ziemlich oft. Ich gehe nicht gerne raus. Also stehe ich häufig vor dem Herd.“

„Also, ich muss sagen, dieser Kuchen ist schwer zu toppen.“ Erneut biss der Schüler in das Backwerk und auch Haruka traute sich zaghaft, ihr verbliebenes Stück zu essen. Während sie kaute blickte sie zwischen dem Kuchen und Kazuki hin und her, wobei sich nur ihre Augen bewegten.

„Ich bin doch bestimmt nicht der erste, der etwas isst, was du gekocht oder gebacken hast. Was sagen denn andere Leute zu deinen selbst zubereiteten Sachen?“

„Ach, sie finden es eigentlich ganz in Ordnung.“ Haruka war fast nicht zu verstehen.

„Alles klar, und jetzt erzählst du mir die Wahrheit. Was sagen sie wirklich?“

„Sie sind ähnlich begeistert wie du. Aber das ist nichts besonderes. Jeder kann kochen“, meinte die Angesprochene.

Kazuki schob seine Hand unter ihr Kinn und drückte ihren Kopf ein wenig in die Höhe, so dass sie ihm ins Gesicht schauen musste.

„Das ist nicht wahr. Nicht jeder kann kochen und das weißt du auch. Aber nehmen wir einmal an, es wäre so und wirklich jeder könnte kochen. Dann gibt es aber zwischen kochen und kochen einen sehr großen Unterschied. Wenn alle Kuchen von dir so wunderbar schmecken, dann ist das der Renner. Du könntest Geld damit verdienen. Es stimmt nicht, dass du in allen Dingen schlecht bist. Du kannst ganz fantastisch backen.“

„Ach, das isst doch sowieso keiner“, meinte die Schülerin und drehte den Kopf ein wenig zur Seite, doch damit verhinderte sie auch nicht, dass der Junge sehen konnte, wie sie erneut errötete.

„Nun, ich habe den Kuchen gegessen, also ist deine Vermutung schon mal widerlegt“, lächelte Kazuki sie an und zog seine Hand weg. „Du hast ein großes Talent. Das solltest du für dich einsetzen. Und auf gar keinen Fall solltest du es einfach so abtun. Wir haben doch hier einen Kiosk. Hier könntest du am einfachsten testen, ob deine Kuchen niemand essen möchte. Und zwar ohne, dass die Schüler wissen, dass er von dir ist.“

„Ich weiß nicht. Ich bin überhaupt keine Geschäftsfrau und werde wohl auch nie eine werden.“

„Mit deiner Schüchternheit wirst du keine Geschäftsfrau, das stimmt. Aber du kannst an dir arbeiten. Wenn du dich daran machst, mehr Selbstvertrauen zu entwickeln, dann klappt der Rest auch.“

Haruka schüttelte den Kopf. Sie wollte das alles überhaupt nicht hören.

„Sieh mal“, redete der zwanzigjährige Junge weiter auf sie ein. „Wenn du deine Kuchen backst, denkst du dann auch permanent darüber nach, dass sie dir nicht gelingen könnten?“

„Nein.“

„Natürlich denkst du da nicht dran. Weil du genau weißt, dass deine Kuchen sehr gut werden. Da besteht für dich überhaupt kein Zweifel. Du weißt, wie du alles zusammenmischen musst und dann gelingt alles. Jetzt hast du nur Angst, weil du dich auf neues Terrain begibst. Aber sobald du auf diesem Gebiet vertraut bist, ist es wie mit dem Backen. Dann hast du auch keine Furcht mehr davor.“

Haruka schwieg. Konnte es nicht endlich zur nächsten Stunde läuten? Die Pause musste doch längst vorbei sein.

„Ich möchte gerne einmal etwas essen, was du selbst gekocht hast“, sagte Kazumi unvermittelt. Dieser Satz traf das Mädchen völlig unvorbereitet. Sie hatte gedacht, dass ihr Mitschüler weiter versuchen würde, ihr seinen Vorschlag schmackhaft zu machen. Stattdessen schnitt er ein völlig neues Thema an.
Sie schaute ihn verblüfft an. „Warum?“

„Weil ich neben dem, was du gebacken hast auch mal etwas gekochtes probieren möchte.“

„Was soll ich denn kochen?“, fragte Haruka unsicher.

„Was du willst. Ich lasse mich einfach überraschen. Koche einfach das, worauf du gerade Lust hast und was dir Spaß macht. Es muss nichts besonderes sein.“

„Na gut“, sagte der Twen nach einer längeren Pause. „Nächste Woche irgendwann?“

„Ist gut“, nickte Kazumi. „Ich freue mich darauf.“

Und das tat er wirklich.

*****

Chiyo lag auf der Lauer und wartete gespannt. Irgendwann musste der neue Schüler sich ja mal blicken lassen. Sie war zur Stelle, um ihren Plan, der gar nicht so viel Vorbereitung gebraucht hatte, in die Tat umzusetzen. Und um sich so ein simples Vorhaben auszudenken, benötigte sie Inu nicht einmal. Wenn sie gewartet hätte, bis ihre Freundin sich etwas ausgedacht hatte, dann würde sie vermutlich noch in drei Jahren ohne ein brauchbares Vorhaben herumlaufen. Manche Dinge führten viel leichter zum Erfolg, wenn man sich selbst um sie kümmerte.

Chiyos Herz setzte aus. Der von ihr so sehnsüchtig erwartete Schüler kam die Treppe herauf. Meine Güte, er war wirklich unglaublich attraktiv. Bei seinem Aussehen hätte er eigentlich einen Waffenschein tragen müssen, überlegte sich das Mädchen. Dann machte sich Chiyo auf den Weg nach unten, den Becher mit Apfelsaft in ihrer Hand. Als ihr die ersten Schüler entgegen kamen, musste sie geschickt ausweichen, um nicht vorzeitig gegen eine falsche Person zu stoßen.

Doch schließlich war es soweit. Sie entdeckte Takeo, der genau vor ihr nach oben schritt. Absichtlich rutschte sie auf der Treppe aus, prallte gegen den Jungen und schüttete den Saft über seine Schuluniform. Zunächst fing der Schüler sie auf, dann trat er schnell zur Seite, doch es war bereits zu spät. Seine Jacke sowie das Halstuch und das hellblaue Hemd waren bereits mit Saft getränkt.

„Verdammt“, fluchte Takeo.

„Oh nein“, rief Chiyo in gespieltem Entsetzen aus. „Das wollte ich nicht. Es tut mir leid, wirklich.“

Sie zog ein Taschentuch aus der Tasche ihres Blazers und begann auf Takeos Halstuch und seinem Jackett herumzutupfen.

„Ich bin so blöd“, schimpfte Chiyo mit sich selbst. „Warum muss ich in der Gegend herumgucken und kann nicht auf den Weg achten?“

Takeo ergriff ihre Handgelenke und drückte sie von sich.

„Genau das gleiche habe ich mich gerade auch gefragt“, sagte er wütend.

„Entschuldige bitte, das war keine Absicht.“ Die Schülerin wischte ihm mit dem Taschentuch über die Brust, wurde aber sofort wieder von ihm auf Abstand gehalten.

„Das wäre jetzt ja auch der Gipfel gewesen, wenn du das mit Absicht gemacht hättest.“

Hinter Takeo staute sich die Schülerschar, die aber schließlich zur Seite auswichen und an den beiden Schülern vorbei weiter die Treppe erklommen.

„Himmel, du bist ganz nass. Wie kann ich das nur ungeschehen machen?“, jammerte Chiyo.

„Gar nicht. Aber nett, dass du mich darauf hinweist, dass ich vollkommen durchnässt bin. Ich hoffe, das war nur Wasser.“

„Nein, es war Apfelsaft.“

„Großartig. Das scheint heute wirklich mein Tag zu sein. Du bist schon die zweite, die mich anrempelt.“

„Es tut mir so wahnsinnig leid. Ich bin so ein Trottel.“

Chiyo machte sich los und wischte erneut über seine Jacke, doch abermals packte Takeo ihre Hände und schob sie zurück.

„Hör zu, ..“

„Chiyo“, stellte das Mädchen sich ihm vor.

In Takeo läuteten die Alarmglocken. Das musste die Chiyo sein, vor der man ihn gewarnt hatte. Takeo konnte sich nicht vorstellen, dass noch ein Mädchen mit diesem Namen auf diese Schule ging. Er beschloss, sich selbst ein Bild von ihr zu machen, aber dennoch auf der Hut zu sein.

„Chiyo“, wiederholte er ihren Namen. „Hör zu, Chiyo. Es ist überhaupt nicht nötig, dass du an mir herumwischt. Du hast schon genug für mich getan.“

„Aber du musst aus diesen nassen Klamotten raus. So kannst du unmöglich in den Unterricht.“

„Ich habe, genau wie du vermutlich auch, einen Schrank, in dem sich eine Schuluniform zum Wechseln befindet. Und diese werde ich jetzt anziehen. Kein Grund, sich Gedanken zu machen.“

„Doch, die mache ich mir aber“, beharrte Chiyo und Takeo verdrehte die Augen. „Immerhin versäumst du dadurch einen Teil der Pause.“

„Was mich aber unter Garantie nicht umbringen wird.“

„Das mag sein, aber ich bestehe darauf, dass ich meine Tollpatschigkeit wieder gut mache. Ich will dich zu einer Cola einladen. Als kleine Entschädigung sozusagen.“

„Danke, aber das ist wirklich nicht nötig.“

„Doch, das ist es. Ansonsten habe ich ständig ein schlechtes Gewissen. Ich weiß, das wiegt die Unannehmlichkeiten, die du durch mich hast, nicht im geringsten auf. Aber so fühle ich mich dann doch ein bisschen besser.“

Takeo überlegte. Er musste zusagen, ansonsten würde er sie wohl nicht so schnell loswerden. Chiyo sah so aus, als könne sie sehr hartnäckig sein. Und auf diese Weise konnte er auch leicht herausbekommen, ob die Warnungen der anderen vor dem Mädchen gerechtfertigt waren.

„Gut, einverstanden.“

„Sehr schön“, freute sich Chiyo und triumphierte innerlich. Sie hatte es geschafft. „Wann hast du Zeit?“

„Heute habe ich bereits etwas vor. Aber wie wäre es mit Montag, direkt nach der Schule. Ich habe um vier Uhr Schluss.“

„Das geht in Ordnung. Also, am Montag um vier Uhr. Wollen wir uns im Schülercafé treffen?“

„Im Schülercafé?“, echote Takeo. Er hatte nicht den leisesten Schimmer, wo sich dieses Café, von dem Chiyo sprach, befinden sollte.

„Du kennst das Schülercafé nicht?“, fragte sie erstaunt.

„Nein, ich bin gerade erst nach Carlton gezogen und kenne noch so gut wie gar nichts hier.“

„Das Café ist ganz einfach zu finden.“ Chiyo gab ihm eine kurze Wegbeschreibung und sagte ihm, dass er auch jeden Schüler hier fragen könne, denn das Café sei äußerst beliebt und jeder könne ihm den Weg erklären.

Dann verabschiedeten sich die beiden Schüler. Takeo blickte Chiyo grübelnd nach, dann ging er zu seinem Schrank, um sich umzuziehen.  Das Mädchen aber hätte am liebsten die Arme empor gerissen und laut angefangen zu jubeln. Ihr Plan war tatsächlich aufgegangen. Sie hatte eine Verabredung mit dem am besten aussehenden Schüler der gesamten Schule klar gemacht. Sie konnte es kaum glauben.

*****

Der nächste Weg führte Chiyo in den Park, wo Inu bereits auf sie wartete. Die Freundin wusste von Chiyos Plan, Takeo zu einer Verabredung zu bringen und lief schon seit mehreren Minuten vor Ungeduld auf und ab. Als Inu endlich Chiyo entdeckte, rannte sie sofort zu ihr.

„Und, wie ist es gelaufen?“, erkundigte sie sich.

„Perfekter hätte es gar nicht laufen können“, gab die Freundin zur Antwort und erzählte haarklein, was alles geschehen war. Der Trick, seinem Opfer ein Getränk über die Kleidung zu schütten, funktionierte immer wieder. Schon sehr oft hatte Chiyo diese List angewendet und auch meist mit ihr Erfolg gehabt.

Allerdings konnte sich das Mädchen noch gut an Clark erinnern, einen Jungen aus einer früheren Schule. Damals war sie fünfzehn Jahre alt gewesen, hatte jedoch schon zu dieser Zeit mit den Jungs gespielt und versucht, sie zu umgarnen und mit ihnen etwas anzufangen – wenn das auch nie sehr lange gehalten hatte.

Hinter Clark war sie lange her gewesen. Auch bei ihm hatte sie es mit dem Getränketrick versucht, war aber kläglich gescheitert. Der Junge hatte sie angeschrieen und von ihr die Reinigungskosten für seine Klamotten verlangt. Natürlich hatte sie sich geweigert und war ihrerseits auf Konfrontationskurs gegangen. Was ihm überhaupt einfiele, hatte sie ihn angeraunzt. Er hätte sich ihr gefälligst nicht in den Weg zu stellen. Ein Wort hatte das andere ergeben und schließlich war jeder von ihnen mit Hass auf den anderen seiner Wege gegangen.

In Chiyos Innerem hatte es angefangen zu brodeln. Es ließ sie einfach nicht los, dass es ihr nicht gelungen war, Clark in ihre Beutesammlung zu bekommen. Deshalb ließ sie ihn ein paar Tage einfach in Ruhe, ehe sie den nächsten Versuch startete. Er wies sie weiterhin ab und genau das machte sie noch schärfer auf ihn. Sie nahm es sogar auf sich, ihn zum Kino oder auf ein Eis einzuladen, doch jedes Mal lehnte er ab. Es war wie verhext. Sie war einfach nicht an ihn heran gekommen.

Bis es ihm eines Tages zuviel wurde. Er schnappte sie sich, zog sie in eine stille Ecke und verkündete ihr mit todernstem Gesicht, dass er sich umbringen werde, wenn sie nicht aufhörte, ihn zu belästigen.  

Chiyo hielt von diesen Drohungen nicht allzu viel und machte sich weiter an ihn heran. Die Ernüchterung folgte, als sie eines Morgens den Schulhof betreten hatte und Clark auf dem Fenstersims eines Fensters im obersten Stockwerk stand. In ihrem Kopf waren die fürchterlichsten Gedanken aufgewirbelt worden. Clark war nicht gesprungen, aber er hatte ihr noch am selben Tag klar gemacht, dass er beim nächsten Mal sein Vorhaben durchziehen würde. Von dem Moment an hatte sie ihn in Ruhe gelassen. Es war sogar so gewesen, dass die Rollen verteilt waren, denn immer, wenn Clark in Chiyos Nähe kam, dann ergriff das Mädchen die Flucht.

Durch diesen Vorfall hatte Chiyo längere Zeit auf Eroberungsfeldzüge bei Jungs verzichtet, aber schon nach zwei Wochen hatte sie wieder in ihren alten Trott zurückgefunden und hatte weitergemacht, als sei nichts geschehen gewesen.

Doch mit Takeo würde das nicht passieren. Er hatte ja zugestimmt, sich mit ihr zu treffen. Sie konnte es kaum noch erwarten.  Mit allen Tricks, die ihr zur Verfügung standen, würde sie ihn um den Finger wickeln. Dabei durfte sie aber nicht zu schnell vorgehen, denn dann bestand die Gefahr, dass sie ihn verschreckte. Sie nahm sich vor, ganz behutsam zu Werke zu gehen und sich so vorsichtig zu verhalten, dass er keinen Verdacht schöpfen würde. Darin hatte sie Übung, denn das hatte sie schon bei unzähligen Teenagern durchexerziert.

„Ist ja toll, dass es gleich so hingehauen hat“, meinte Inu. „Aber warum denn erst am Montag? Hättet ihr euch nicht heute schon verabreden können oder am Wochenende irgendwann?“

„Er hat gesagt, dass er heute schon eine Verabredung hat. Und übers Wochenende habe ich dann Zeit, mir vielleicht eine neue Strategie zu überlegen.“ Chiyo legte die Stirn in Falten. „Allerdings wüsste ich schon gerne, mit wem er sich heute noch trifft. Vielleicht kann es nützlich sein, das zu wissen.“

„Und wie willst du das anstellen?“, wollte Inu wissen.

„Ganz einfach. Ich werde ihn beschatten. Nach der Schule habe ich sowieso nichts anderes vor. Und wann er heute Schulschluss hat, kriege ich mit Leichtigkeit heraus.“

Einer der Leitsätze von Chiyo lautete, dass man wissen musste, mit wem man es zu tun hatte, bevor man sich mit ihm einließ. Aus diesem Grund versuchte das Mädchen schon im Vorfeld so viel über ihre Opfer zu erfahren wie möglich. Dabei schreckte sie vor fast nichts zurück. Dass sie ihre Beute direkt verfolgte, um sich ein Bild von ihr zu machen, war schon an der Tagesordnung. Doch manchmal war es auch notwendig, Eltern oder Geschwister des Jungen, an den sie sich heranmachen wollte, zu beschatten. Und im Observieren von Personen war Chiyo geübt. Sie verhielt sich so geschickt, dass sie nicht bemerkt wurde. Mancher Privatdetektiv hätte sich von der Schülerin so einiges abschauen können.

Ab und zu traten bei diesen Observationen recht unangenehme Dinge zutage. Beispielsweise war es schon einmal vorgekommen, dass Chiyo unfreiwillig Zeugin eines Drogendeals geworden war. Ihr Opfer hatte sich von einem Dealer Stoff besorgt. In einem solchen Fall ließ Chiyo ihren Plan, sich diesen Jungen zu angeln, sofort wieder fallen und kümmerte sich von dem Zeitpunkt an kein Stück mehr um ihn.

Auch wenn sich herausstellte, dass ihr Angebeteter jemanden im Gefängnis besuchte oder zum Nachhilfeunterricht in den einfachsten Fächern ging, brach sie den Kontakt sofort ab. Solche Leute brauchte sie nicht in ihrer Erfolgsliste.

In einigen Fällen war nicht einmal der Aufwand nötig, den Jungen zu verfolgen, von dem Chiyo etwas wollte. Sie holte dann einfach Informationen über ihn von dritten Personen ein – von Verwandten, Freunden, Bekannten oder Klassenkameraden. Es war wirklich erstaunlich, wie redselig die Leute waren, wenn es darum ging, die eine oder andere Kleinigkeit aus dem Leben eines anderen erfahren zu wollen. Manche Menschen redeten wie ein Wasserfall und berichteten von sich aus Dinge, nach denen Chiyo nie gewagt hätte zu fragen, die sie aber als recht nützlich empfand.

Sehr reiche Ausbeute hatte sie von einem Nachbarn eines ihrer früheren Opfer bekommen. Der Nachbar hatte sie sogar zu Kaffee und Kuchen gebeten und dann frei von der Leber weg alles erzählt, wonach sie gefragt hatte. Wenn Chiyo gewollt hätte, hätte sie den Jungen mit diesem Wissen erpressen können. Aber es war  nun einmal Tatsache, dass bei Teenagern nicht so viel zu holen war, also hätte sich eine Erpressung gar nicht gelohnt.

Insgeheim hoffte Chiyo auf den ganz großen Fang. Vielleicht gelang es ihr ja irgendwann, sich einen reichen Schnösel ins Boot zu ziehen. Wenn Jungs ein hübsches Mädchen sahen, fing sich ja die Unzurechnungsfähigkeit bei ihnen an zu entwickeln. Und in diesem Stadium konnte man ihnen leicht den größeren oder kleineren Betrag abnehmen, bevor man sich wieder von ihnen trennte. Noch war in all den Jahren, die Chiyo dieses Spiel bereits durchzog, kein geeigneter Kandidat dabei gewesen. Aber je mehr Jungs sie sich angelte, umso mehr stieg die Wahrscheinlichkeit, dass sie einmal an jemanden geriet, den sie nach Strich und Faden ausnehmen konnte.

„Er soll sich bloß nicht einbilden, mich verarschen zu können. Ich bin viel früher aufgestanden als er. Und ich werde heute sehen, mit wem er eine Verabredung hat.“

Chiyo rieb sich in aufgeregter Vorfreude die Hände. Das Geld für das Getränk, das sie ihm ausgeben wollte, tat ihr zwar leid, aber manchmal musste man eben Opfer bringen, um zu seinem Ziel zu gelangen.

*****

Takeo schlug den Kragen seines Hemdes nach oben und schloss den obersten Knopf. Dann faltete er ein hellblaues Halstuch diagonal in der Mitte und band die Enden im Nacken zusammen. Er klappte den Kragen wieder herunter, so dass sich das Halstuch hinten und an der Seite unter dem Kragen befand, und zog das Tuch zurecht.

Er war immer noch sauer über das Missgeschick, das ihm auf der Treppe passiert war. Das hatte ihn fünf Minuten seiner Pause gekostet. Wenn sich dieser Tollpatsch bei ihrem Treffen am Montag genauso ungeschickt anstellte, dann war er schneller wieder aus diesem komischen Café verschwunden, als sie gucken konnte. Es verwunderte den Jungen, dass sie so beliebt bei den Jungs war. Sicher, sie sah gut aus, aber wenn sie sich immer so aufführte, wie vorhin, dann konnte Takeo nicht verstehen, warum die Kerle nicht schnellstens wieder Reißaus nahmen.

Der Teenager nahm eine neue Uniformjacke aus seinem Schrank, knallte die Tür zu und zog die Jacke an. Dann drehte er sich um, um zu seinem Klassenzimmer zu laufen – und stieß mit einem Mädchen zusammen.

Das konnte doch wohl nicht wahr sein? Musste er in Zukunft immer mit vorgestreckten Händen durch diese Schule laufen? Er schien ein Abonnement darauf zu haben, ständig mit jemandem zu kollidieren. Zum Glück hatte dieses Mädchen nichts in den Händen, was ihm entgegen fallen und seine frische Uniform beschmutzen konnte.

„Herzlichen Glückwunsch“, blaffte er. „Wo ist der nächste?“

Kazumi guckte ihn verständnislos an. „Was meinst du?“

„Na, ihr habt euch doch bestimmt alle verabredet, mich heute anzurempeln. Ich will nur wissen, wo der nächste Zusammenstoß auf mich wartet.“

„Tschuldigung. Ich wollte mit dir reden.“

„Du wolltest mit mir reden?“ Takeo sah das Mädchen an. Er kannte sie überhaupt nicht. Machte man sich vielleicht einen Spaß daraus, dass man Schüler, die er noch nie in seinem Leben gesehen hatte, vorschickte, um mit ihm ins Gespräch zu kommen? Eventuell war das ja ein Sport in diesem Ort. Von diesem Sport hielt er zwar gar nichts, aber dass er da nicht gefragt wurde, war sowieso klar.

„Schön“, sagte Takeo. „Jetzt haben wir geredet. Erfolgreichen Unterricht noch.“

Er drängelte sich an dem Mädchen vorbei, die zu ihm sagte: „Es geht um Chiyo.“

Abrupt blieb er stehen. Dieser Name verfolgte ihn wie ein Fluch. Ganz ruhig, sagte er sich und schloss die Augen. Das ist heute alles gar nicht passiert. Du liegst noch in deinem Bett und träumst. Wenn du gleich die Augen wieder aufmachst, bist du in deinem Zimmer und der Manga auf deinem Nachttisch wartet darauf, weitergelesen zu werden.

Takeo machte die Augen auf und schaute direkt in das Gesicht des Mädchens, das sich eben noch hinter ihm befunden hatte.

„Ich bin Kazumi.“

Wenigstens war sie die erste Remplerin heute, die Manieren hatte und sich von sich aus vorstellte, dachte der Junge bei sich.

„Gut. Und was hast du mit Chiyo zu tun?“

„Zum Glück gar nichts. Ich will dich nur vor ihr warnen.“

„Warum ausgerechnet mich?“

„Weil sie es auf dich abgesehen hat. Sie wird versuchen, sich an dich heranzumachen. Sie wird dir sagen, wie toll sie dich findet und wird versuchen, dich zum Freund zu gewinnen. Aber das will sie nicht wirklich.“

„Ach“, machte Takeo. „Und was will sie wirklich?“

„Sie will mit dir angeben. Sie ist hinter Jungs her, wie der Teufel hinter Seelen. Wahrscheinlich will sie einen Weltrekord aufstellen, dass sie von allen Weibern die meisten Typen hatte. Jedenfalls wirst du mit ihr garantiert nicht glücklich werden, denn sie wird dich früher oder später fallen lassen. Bei dir vielleicht später, weil du so gut aussiehst. Aber es wird passieren.“

„Hochinteressant.“ Takeo lehnte sich mit gelangweiltem Gesichtsausdruck an einen Schrank. „Würdest du mir freundlicherweise auch noch sagen, warum du mir das alles erzählst? Du kennst mich doch überhaupt nicht. Was hast du davon, mir solche Sachen über Chiyo zu sagen?“

„Stimmt, ich kenne dich nicht. Aber ich kenne sie. Glaube mir, viele Jungs sind der Meinung, dass wir eine leichte Beute für sie sind und sie uns nach Strich und Faden benutzen können. Sie ziehen unseren Ruf in den Dreck. Und wenn eine von uns die Kerle in ihrer Meinung auch noch bestärkt, weil sie ihnen genau zeigt, dass es im Grunde stimmt, was sie über uns denken, dann ist das zum Kotzen. Chiyo hat schon so viele Kerle unglücklich gemacht. Sie muss endlich mal einen Denkzettel kriegen. Deswegen werde ich jeden, von dem ich erfahre, dass sie ihn haben will, vor ihr warnen.“

„Das lässt dich in ihrer Achtung ganz schön steigen.“

„Ich möchte gar nicht, dass sie Achtung vor mir hat. Darauf pfeife ich. Ich habe nichts mit ihr zu tun, das habe ich dir doch gerade gesagt. Sie soll nur mit ihren widerlichen Spielchen aufhören. Und dafür nehme ich sogar eine Prügelei mit ihr in Kauf.“

Takeos Aufmerksamkeit wuchs. Er machte einen Schritt zur Seite, schaute Kazumi mit großen Augen an und sagte: „Ach, du warst das also, mit der sie sich geprügelt hat? Ich habe euch beide gesehen. Sah ja nicht sehr gut für dich aus.“

„Das ist alles schon wieder vergessen. Es war nur wichtig, dass sich mal jemand eingemischt und ihr gezeigt hat, wo es lang geht.“

„Naja, als Wegweiser taugst du nicht gerade was“, meinte Takeo.

„Vollkommen egal“, winkte Kazumi ab. „Jedenfalls weißt du jetzt über sie Bescheid. Sei vorsichtig bei ihr. Du verdienst es nicht, was sie mit dir vorhat.“

„Davon kann ich mir ja selber einen Eindruck verschaffen. Gleich am Montag.“

„Wie meinst du das?“ Kazumi schaute ihn fragend an.

„Ich bin mit Chiyo verabredet. Wir hatten schon unseren ersten Kontakt.“

„Ich verstehe.“ Kazumi knetete ihre Unterlippe. Dann sagte sie zu ihrem Gegenüber: „Ich will dir auch gar nicht reinreden. Wenn du dich mit ihr verabreden möchtest, dann tue das ruhig. Aber erkundige dich vorher wenigstens über sie. Immerhin kann es ja sein, dass ich dir hier den totalen Mist erzähle. Frage andere Jungen und auch Mädchen nach ihr. Du wirst bestimmt allerlei interessante Dinge zu hören bekommen. Und dann kannst du dir deine eigene Meinung bilden und selbst entscheiden.“

Sie sah auf ihre Uhr. „Mist, ich muss ins andere Gebäude. Bis dann.“ Und schon war sie verschwunden.

Der Jugendliche schüttelte den Kopf. Er hatte in seinen sehr wenigen Tagen hier an der Schule mehr erlebt, als mancher Schüler während seiner gesamten Schullaufbahn. Und immer wieder tauchte der Name dieses Mädchens Chiyo auf. Vielleicht sollte er sich wirklich einmal bei anderen Besuchern dieser Lehranstalt über seine Verabredung informieren.

Eines war jedenfalls klar, das Leben an dieser Schule wurde niemals langweilig.  

*****

In der Unterrichtsstunde konnte sich der neue Schüler nur schwer konzentrieren. Immer wieder schweiften seine Gedanken zu den Begegnungen mit den beiden Mädchen, die er heute gehabt hatte. Vom vermittelten Stoff bekam Takeo fast nichts mit. Aber Wirtschaft war noch nie seine große Stärke gewesen.

Glücklicherweise brauchten sie für die nächste Stunde den Klassenraum nicht zu wechseln, so dass er und Chizuru in der Pause nicht hinaus gingen.

„Du bist was?“, fragte sie fassungslos, als ihr der Junge von seiner Begegnung mit Chiyo erzählte.

„Ich bin mit ihr verabredet. Am Montag nach der Schule.“

„Du scheinst unsere Warnungen vor ihr ja unglaublich ernst zu nehmen.“

„Es ist ja wohl immer noch meine Angelegenheit, ob ich mich mit ihr treffen will oder nicht. Und das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass ich etwas von ihr will. Ich bin schon vorsichtig.“

„Na, hoffentlich.“

„Außerdem ist das die beste Gelegenheit, selber herauszufinden, ob sie etwas von mir will. Und wenn das so ist, dann beißt sie bei mir auf Granit.“

Wütend zog Takeo das Buch, das sie für die nächste Unterrichtsstunde benötigten, aus seinem Rucksack. Dabei verhakte es sich, so dass der Rucksack umfiel und der Inhalt auf dem Boden landete.

„Ich hasse Deja Vus“, knurrte Takeo und ging in die Hocke, um seine Sachen wieder einzupacken. Chizuru tauchte neben ihm auf und half ihm. Plötzlich stockte der Schüler und betrachtete intensiv das Buch, das er in der Hand hielt.

„Wo kommt das denn her?“, fragte er.

Seine Mitschülerin blickte ebenfalls auf den Titel.

„Das ist doch keines von unseren Schulbüchern.“

„Darauf bin ich auch schon gekommen. Aber wie kommt das in meine Tasche?“

Takeo überlegte und dann hatte er die Lösung. Bei der Kollision heute morgen mit dem mysteriösen Jungen musste er versehentlich das Buch eingesteckt haben. Er überlegte, was er jetzt machen sollte und schalt sich dann in Gedanken einen Dummkopf. Warum zerbrach er sich darüber überhaupt den Kopf? Wenn der Kerl sein Buch wiederhaben wollte, dann sollte er es sich gefälligst selber holen. Takeo war jedenfalls nicht so dumm und lief ihm nach.

„Und? Weißt du, wie es den Weg in deinen Rucksack gefunden hat?“, erkundigte sich Chizuru, nachdem sie ihren Klassenkameraden die ganze Zeit gemustert und in seinem Gesicht gesehen hatte, wie ihm ein Licht aufgegangen war.

„Ja, weiß ich. An meinem ersten Schultag ist so ein merkwürdiger Junge aufgetaucht, der mich gefragt hat, ob ich Takeo bin. Als ich das bestätigte,  ist er einfach weiter gelaufen. Und heute morgen habe ich ihn wieder gesehen. Er geht hier auf diese Schule. Aber wer er ist, sagt er mir nicht.“

„Was will er von dir?“

„Keine Ahnung. Er ist ziemlich strange, soviel ist sicher. Mehr weiß ich auch nicht. Ich frage ihn, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.“

Die beiden Jugendlichen setzten sich wieder auf ihren Stuhl, nachdem Takeo alle Sachen vom Boden aufgesammelt hatte.

„Sag mal, weißt du, wo hier in der Nähe ein Schülercafé sein soll?“, fragte der Schüler.

„Klar“, antwortete Chizuru. „Das weiß doch fast jeder hier.“

„Gut, dann gehöre ich zu den Ausnahmen. Wo ist es?“

„Es ist nur fünf Minuten von hier entfernt. Wollen wir nach dem Unterricht mal hin?“

„Gerne. Nach den Turbulenzen heute kann ich eine Abwechslung sehr gut gebrauchen.“

Insgeheim freute sich Takeo bereits auf einen leckeren Cappuccino mit Milchschaum. So würde zumindest der Abschluß der Schulstunden ein wenig angenehmer werden. Zumindest hoffte er das.

*****

„Echt?“, wisperte Kagura ihrer Freundin Azu zu. „Du hast wirklich zwei Wochen Stubenarrest bekommen?“

Diese nickte. Es war überhaupt nicht lustig gewesen, ihren Eltern das Ergebnis der Hausaufgabenkontrolle zu beichten. Sie hatten einen Riesenkrach geschlagen und waren stinksauer gewesen. Und als „Belohnung“ durfte Azu nun zwei Wochen außer zum Schulbesuch das Haus nicht verlassen, sondern sich daran machen, ihre Japanischkenntnisse zu verbessern, was von ihren Eltern auch streng überwacht wurde.

„Die können dich doch nicht einsperren“, empörte sich Kagura leise. „Das war doch nur eine Hausaufgabenkontrolle.“

„Was meinst du, was sie alles können“, seufzte Azu, während sie sich bemühte, dem Unterricht zu folgen. „Und für sie ist eine Hausaufgabenkontrolle so viel wert, wie eine richtige Klausur.“

„Tut mir leid.“

Azu winkte ab. „Ich bin selber schuld. Ich hätte mich eben mehr anstrengen müssen.“

Ihr Lehrer Isamu Akabashi stand vor der Klasse am Lehrerpult und war damit beschäftigt, den Schülern neues Wissen über die japanische Sprache zu vermitteln. Auch er hatte mitbekommen, wie hart Azu für ihre schlechte Kontrolle bestraft worden war und sie tat ihm ein bisschen leid. Aber er konnte halt keine anderen Bewertungsmaßstäbe für sie anlegen als bei den anderen Schülern.

Während der Lehrer der Klasse eine Übungsaufgabe gestellt hatte, kam ihm ein früherer Schüler in den Sinn. Vor vielen Jahren hatte dieser versucht, ihn zu erpressen, damit er bessere Noten bekam und er war dabei äußerst geschickt vorgegangen. Zu diesem Zeitpunkt war Isamu noch verheiratet gewesen und sein Schüler Jack hatte Fotos von ihm und einigen Kolleginnen geschossen und sie dann so bearbeitet, dass es aussah, als habe er, Isamu, mit einigen seiner Kollegen ein Verhältnis. Die Bilder hatten wirklich täuschend echt ausgesehen. Jack hatte damit gedroht, diese Fotos seiner Frau zu zeigen, wenn er keine bessere Note bekommen würde. Doch Isamu hatte sich nicht darauf eingelassen, weil er nie im Leben für möglich gehalten hätte, dass Jack wirklich so weit gehen würde.

Doch es war tatsächlich passiert. Als er eines Vormittags beim Schulunterricht gewesen war, hatte seine Frau einen Umschlag aus dem Briefkasten gefischt, dem einige ziemlich aussagekräftige und peinliche Fotos inne wohnten. Als Isamu nach Hause gekommen war, hatte seine Frau die Fotos auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet, so dass sie gar nicht zu übersehen gewesen waren. Alle Beteuerungen und Erklärungsversuche hatten Isamu nichts genutzt. Caroline hatte noch am selben Tag ihre Koffer gepackt und ihn verlassen.

Natürlich hatte Jack alles abgestritten, als Isamu ihn am nächsten Tag auf die Geschichte angesprochen hatte. Er hatte mit einem fiesen Grinsen erklärt, nichts mit der ganzen Sache zu tun zu haben. Aber der Lehrer hatte von Anfang an gewusst, dass nur Jack seiner Frau die Fotos zugespielt haben konnte.

Mit der Zeit hatte sich Isamus Unschuld herausgestellt, aber es war bereits zu spät gewesen. Seine Ehe konnte er nicht mehr retten und er hatte sich dazu entschlossen, nicht wieder zu heiraten.

Als die Unterrichtsstunde beendet war, packte Kagura, wie fast immer nach einer Stunde bei ihrem Lieblingslehrer, im Zeitlupentempo ihre Sachen zusammen und schickte Azu schon mal mit den Worten, dass sie gleich nachkommen würde, nach draußen. Das ganze diente natürlich nur dazu, noch ein paar Momente mit ihrem Lehrer alleine zu verbringen. Und es war ihr Vorteil, dass die Lehrer in dieser Schule warten mussten, bis jeder Schüler das Klassenzimmer verlassen hatte, ehe sie selbst gehen durften.

„Kagura, könnten Sie sich bitte ein bisschen beeilen“, ermahnte Isamu sie.

Betont langsam schulterte das Mädchen ihre Schultasche und schlenderte zum Lehrerpult, wo Isamu ungeduldig wartete. Sie stellte ihre Mappe auf den Boden, setzte sich auf das Pult und lehnte sich zurück.

„Sie kommen mir immer so vor, als stünden Sie unter mächtigem Zeitdruck“ sagte sie leise. „Sie sollten sich mal entspannen und ein paar Stunden nur für sich einplanen.“

„Kagura, hören Sie auf damit“, sagte ihr Lehrer streng. „Sie flirten die ganze Zeit mit mir, aber es ist zwecklos. Das zwischen uns kann einfach nichts werden.“

„Warum denn nicht?“, fragte Kagura naiv nach.

„Sie wissen doch, wie so etwas normalerweise endet. So etwas fällt unter Verführung Schutzbefohlener.“

„Mit dem Unterschied, dass ich Sie verführe und Sie absolut nicht mein Schutzbefohlener sind.“

Isamu lächelte leicht. „Das stimmt, trotzdem macht es keinen Unterschied. Es würde zwischen uns nicht gut gehen.“

„Das können Sie gar nicht wissen. Wir müssen halt noch vorsichtiger sein als vorsichtig.“

„Gegen Zufälle können auch Sie nichts ausrichten.“

„Zufälle?“ Kagura legte die Stirn in Falten.

„Wenn uns zufällig jemand entdeckt. Irgendwo. Dann haben wir eine Situation, in der über uns geredet wird. Wir können uns gar nicht so vorsichtig verhalten, dass nie jemand davon erfährt. Außerdem handelt es sich bei Ihnen doch nur um eine Schwärmerei.“

„Ich kann Ihnen ja das Gegenteil beweisen“, meinte das Mädchen und schob ihren Oberkörper noch weiter vor.

Hastig ergriff Isamu seine Tasche und sagte: „Lassen Sie das und verlassen Sie bitte das Klassenzimmer. Ich würde gerne in die Pause gehen.“

Seufzend erhob sich der Twen und fragte: „Sie finden mich kein bisschen attraktiv, oder?“

„Verlassen Sie bitte den Raum.“

Noch tiefer seufzend schnappte sie sich ihre Mappe und ging hinaus, während Isamu hinter ihr aus dem Raum trat, ihn hinter sich abschloss und in Richtung des Lehrerzimmers ging, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen.

*****

Der Unterricht war beendet. Takeo und Chizuru gingen gemeinsam die Treppe zum Ausgang hinunter.

„Ich passe auf, dass dich niemand anrempelt“, meinte das Mädchen, erntete von Takeo aber nur ein müdes Lächeln.

„Warum müssen uns die Lehrer nur so viele Hausaufgaben aufgeben?“, stöhnte er. „Das ist total unmenschlich. Und ich habe sowieso noch so viel Stoff aufzuholen.“

„Du kannst unseren Profs ja mal vorschlagen, dass sie uns keine Hausaufgaben mehr geben, bis du das versäumte nachgeholt hast.“

„Ein guter Vorschlag. Dann lernen wir aber extra langsam.“

Chizuru lachte. Takeo meinte seine Bemerkung aber durchaus ernst. Er war zwar froh, dass ihn Chizuru beim Aufholen des Lernstoffes unterstützte, aber es war dennoch ein ziemliches Pensum, dass er bewältigen musste. Insofern hätte er überhaupt nichts gegen weniger aktuelle Hausaufgaben gehabt.

Die beiden Teenager gingen durch die Eingangstür und Takeo trat kräftig gegen eine Getränkedose, die auf der obersten Treppenstufe lag und laut scheppernd über den Schulhof kullerte.

„Hey!“, brüllte eine Stimme hinter den beiden, so dass Takeo fast die Treppe hinunter gefallen wäre. Auch Chizuru war erschrocken zusammengezuckt. Sie drehten sich um und entdeckten den Hausmeister, der hinter ihnen die Eingangstür passiert hatte und nun direkt auf den Jungen zukam.

.“Mein Eindruck von dir wird immer besser, Junge“, knurrte er in bedrohlichem Tonfall. „Erst kommst du zu spät zum Unterricht und dann fällt dir beim Anblick einer Coladose nichts anderes ein, als wie du sie durch die Gegend kicken könntest. Auf den Gedanken, sie aufzuheben und in den Mülleimer zu werfen, kommst du wohl nicht. Aber das wirst du jetzt bitte auf der Stelle nachholen. Ansonsten ist es mir eine Freude dabei zu sein, wenn du deinen Eltern erzählst, in welcher rasanten Geschwindigkeit du von der Schule geflogen bist.“

Takeo wollte etwas erwidern, aber er schluckte nur, als er den entschlossenen Gesichtsausdruck des Hausmeisters sah. Er ging zu der Stelle, an der die Dose gelandet war, hob sie auf und trug sie zum Mülleimer hinüber. Chizuru ging den Weg bis zum Tor weiter.

Auf halbem Weg bemerkte Takeo erst den Jungen, der ihn heute morgen über den Haufen gerannt hatte.

„Hallo. Ich glaube, du hast etwas, das mir gehört. Könnte das sein?“

Nervös blickte der neue Schüler sich um und sah, dass der Hausmeister immer noch auf der Treppe stand und die Hände in die Hüften gestemmt hatte.

„Entschuldige mich mal bitte kurz.“

Takeo legte den restlichen Weg zurück und ließ die Dose in den Müll fallen. Er drehte sich noch einmal zum Hausmeister um. Dieser deutete mit dem Zeige- und Mittelfinger der linken Hand auf seine beiden Augen und dann mit dem Zeigefinger auf ihn, bevor er sich umdrehte und ins Schulgebäude zurückging.

Der Teenager atmete erleichtert auf und wandte sich dann dem fremden Jungen zu, der ihm gefolgt war.

„Also, was wolltest du?“

„Du hast heute früh versehentlich eines meiner Schulbücher eingesteckt. Das hätte ich jetzt gerne wieder zurück.“

Takeo sah seinem Gegenüber in die Augen. „Du tust so geheimnisvoll. Vielleicht sagst du mir mal, wer du bist, was du von mir willst und woher du überhaupt meinen Namen weißt.“

„Wer sagt denn, dass ich etwas von dir will?“

„Entschuldigung, natürlich willst du nichts von mir. Es ist ein Hobby von dir, die Namen von Leuten herauszubekommen, auf sie zuzugehen und sie zu fragen, ob sie zufällig derundder sind. Tut mir echt leid, dass ich nicht so blöd bin, wie du denkst.“

Ein paar Sekunden stand der fremde Junge stumm da, dann atmete er tief ein und sagte: „Okay, wenn ich dir verrate, wer ich bin, bekomme ich dann mein Buch wieder zurück?“

„Das muss ich dann erst noch abwarten“, antwortete Takeo ausweichend.

Der dunkelblonde Schüler trat dicht an Takeo heran und raunte leise: „Ich bin ein Schlüssel. Ein ganz spezieller Schlüssel. Ich bin der Schlüssel zu einer Tür, durch die du eines Tages gehen wirst. Und hinter dieser Tür wirst du erstaunliche und geheimnisvolle Dinge und Erkenntnisse finden.“

Takeo starrte den anderen Jungen an. Dann begann er aus vollem Hals zu lachen. Er lachte so laut, dass der Geheimniskrämer einen Schritt zurückwich.

„Was lachst du denn so blöd?“

Takeo hatte sehr große Mühe, sich wieder zu beruhigen. Als er sich wieder soweit gefasst hatte, dass er sprechen konnte, sagte er glucksend: „Jetzt weiß ich, wer du bist. Du bist Schauspieler. Haben wir hier auch eine Theater AG? Deinen Text und die Tonlage hast du jedenfalls schon mal perfekt drauf.“

„Wenn du meinst“, sagte der Junge ungerührt. „Bekomme ich jetzt mein Schulbuch zurück?“

Immer noch lachend öffnete Takeo seinen Rucksack, holte das Buch hervor und drückte es seinem Gegenüber in die Hand.

„Hier, bitte. Und informiere mich, wenn die Premiere stattfindet. Da möchte ich unbedingt dabei sein.“

„Keine Angst. Darauf kannst du dich verlassen.“

Takeo ging hinter ihm den Weg zum Schultor entlang. So ein Spinner! Das war wirklich eine filmreife Vorstellung gewesen, die er da gerade abgeliefert hatte. Takeo konnte sich nur wundern, was für merkwürdige Typen hier ihre Allgemeinbildung erweitern wollten.

*****

Es war sehr schade, dass Kazuki direkt nach der Schule noch einen Arzttermin hatte, denn Haruka hatte sich gewünscht, dass sie beide noch ein kleines Stück des Weges nach Hause zusammen zurückgelegt hätten. Ihr Klassenkamerad hatte kein Wort mehr über ihre Backkünste verloren, aber das war auch nicht nötig gewesen. Das Mädchen hatte gesehen, dass seine Begeisterung echt und nicht gespielt war. Jedoch hätte sie nicht im Traum daran gedacht, dass ihr Kuchen so gut ankommen würde, denn er war doch eigentlich gar nichts Besonderes. Es war ein einfacher Kuchen gewesen.

Sie dachte an Kazukis Worte und spürte, wie ihr Bauch merkwürdig vibrierte und wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Solche Lobeshymnen hatte sie noch nie zu hören bekommen und sie wusste auch überhaupt nicht, wie sie damit umgehen sollte. Sicher war es nett von ihrem Klassenkameraden gemeint gewesen, aber sein Vorschlag, mit ihren Backwerken auch andere Leute zu begeistern, war ihr doch zu weit her geholt. Wer wollte denn schon ihre Kekse essen? Es gab so viel Backwerk von den unterschiedlichsten Herstellern, die sogar teilweise eine sehr gute Qualität hatten, da war es doch vermessen zu glauben, dass sich irgend jemand für das, was sie fabrizierte, interessieren würde.

Überhaupt war Kazuki immer nur nett. Er hatte noch nie ein kritisches Wort, das sie betraf, zu ihr gesagt. Haruka überlegte intensiv, aber sie konnte sich an keine negative Kritik von seiner Seite erinnern. Bezweckte er etwas damit? Warum sagte er ihr nur neutrale oder positive Worte? Da musste irgendetwas dahinter stecken. Jetzt, wo sie länger darüber nachdachte, war eigentlich vollkommen klar, dass er etwas erreichen wollte. Aber was? Konnte er nicht vielleicht einfach nur nett sein, ohne irgendeinen Hintergedanken zu haben? Das konnte sich das Mädchen absolut nicht vorstellen.

Sie bog in eine Seitenstraße ein und nach ein paar Metern sah sie ihn. Er kam gerade aus einem kleinen Fotogeschäft und sie erkannte ihn augenblicklich, sobald er in ihr Sichtfeld geraten war. Abrupt blieb die Schülerin stehen und überlegte, ob sie sich wieder umdrehen oder sich irgendwo verstecken sollte, doch es war bereits zu spät. Er hatte sie ebenfalls entdeckt und kam jetzt, die Hände leicht erhoben, auf sie zu. Haruka wollte ihm nicht noch einmal begegnen, denn die erste Konfrontation mit ihm steckte ihr noch in den Knochen. Doch sie war unfähig, sich zu bewegen. Ein paar Schritte von ihr entfernt blieb er stehen.

„Keine Angst“, sagte er. Es war der fremde Schüler, der ihr auf dem Schulhof die Meinung gesagt hatte – seine Meinung. Doch die interessierte Haruka kein Stück.

„Keine Angst“, sagte er noch einmal. „Ich will dir nichts tun. Ich will dir nur etwas vorschlagen.“

Die Schülerin war sich nicht sicher, ob sie seinen Vorschlag hören wollte. Eigentlich wollte sie nichts anderes als nach Hause gehen. Was war, wenn er doch mehr als nur reden wollte? Warum hatte Kazuki seinen Arzttermin nicht absagen und sie nach Hause begleiten können? Alleine konnte sie gegen den älteren und wesentlich stärkeren Schüler bestimmt nichts ausrichten. Und er würde sie mit Leichtigkeit überwältigt haben, bevor sie um Hilfe rufen konnte.

„Ich bin Nobu und ich gehe ebenfalls auf die Carlton Jouchi Daigaku. Aber das hast du ja bestimmt an meiner Schuluniform bemerkt.“

Haruka trat von einem Bein aufs andere. Warum verriet er ihr seinen Namen? Er wollte sie wahrscheinlich nur in Sicherheit wiegen und in Wahrheit hieß er gar nicht Nobu. Und jetzt ging er auch noch einen Schritt zurück, anstatt noch näher auf sie zuzukommen. Das Mädchen beschloss, äußerste Vorsicht walten zu lassen. Sobald er auch nur einen Schritt näher kam, würde sie anfangen zu schreien und alles unternehmen, um andere Leute auf sich aufmerksam zu machen. Sie traute diesem Kerl absolut nicht.

„Hör mir einfach nur zu. Du brauchst gar nichts zu sagen. Aber höre dir bitte an, was ich sagen möchte.“

Das Mädchen hatte keinerlei Interesse an seinen Worten und spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Ihr wurde furchtbar warm, obwohl sie in ihrer Schuluniform gar nicht so dick angezogen war. Und das, was Nobu als nächstes sagte, verwirrte sie vollends.

„Ich möchte dir eine Geschichte erzählen. Und zwar handelt sie von einem Frosch. Vielleicht kennst du sie auch schon.
Dieser Frosch lebt in einem Glaskasten, freut sich seines Lebens, bekommt immer etwas zu essen und kann so hoch springen, wie es ihm möglich ist. Eines Tages bringt jemand in der Mitte des Glaskastens einen Deckel an. Und als der Frosch das nächste Mal freudig in die Höhe springt, macht er eine schmerzhafte Erfahrung, als sein Körper gegen den Deckel prallt. Zuerst kann er sich keinen Reim darauf machen, was da passiert ist. Aber nachdem er weitere Male erlebt hat, dass es mit Schmerz verbunden ist, wenn er so hoch springen will wie sonst, erkennt er, dass er nur noch bis zu einer bestimmten Höhe springen kann, um keine unangenehmen Erfahrungen mehr zu machen. Also passt er die Sprunghöhe an und hüpft fortan nur noch so hoch, dass er nicht gegen den Deckel stösst.
Nach einigen Wochen wird der Deckel aus der Mitte des Glaskastens entfernt, so dass der Frosch wieder so hoch springen kann, wie ganz am Anfang. Doch das tut er nicht. Er hüpft weiterhin bis knapp unter die Höhe, in der früher der Deckel angebracht war. Er unternimmt noch nicht einmal den Versuch, zu testen, ob er nicht vielleicht doch wieder höher springen könnte.“

Doch, diese Geschichte hatte Haruka irgendwann schon einmal gehört. Und sie hatte ihr nicht besonders gut gefallen. Sie hatte Mitleid mit dem armen Frosch gehabt, der nur als Versuchskaninchen missbraucht wurde. Haruka war noch ein Kind gewesen, als sie diese Geschichte gehört hatte und sie hatte sie wieder vergessen. Doch Nobu hatte sie ihr wieder in Erinnerung gerufen und immer noch mochte sie die Geschichte nicht. Warum erzählte er ihr das alles überhaupt?

„Der Frosch bist du“, offenbarte ihr Nobu. „Du traust dich nicht, hoch zu springen, weil du Angst hast, dass du dir den Kopf stoßen könntest. So wie es jetzt ist, ist es gut für dich. Doch dadurch nimmst du dir etwas, was einen großen Teil deines Lebens ausmachen sollte – Freiheit. Ich habe dir ja schon einmal so etwas ähnliches erzählt.“

Haruka hatte geahnt, dass wieder die gleiche Leier kommen würde wie bei ihrer letzten Begegnung. Offenbar hatte dieser merkwürdige Kerl keine eigenen Probleme, also musste er  die Leute belästigen, von denen er offenbar glaubte, dass sie Probleme hatten. Die Schülerin hatte nicht die leiseste Lust, ihm noch länger zuzuhören. Sie entschloss sich, auf die andere Straßenseite zu gehen und dort ihren Weg nach Hause fortzusetzen. Doch Nobu sprach weiter, ehe sie auch nur einen Schritt machen konnte.

„Ich will dir helfen. Ich will dich darin unterstützen, dass du eines Tages höher springen kannst als der Deckel liegt. Denn es gibt keinen Deckel, aber das hast du noch nicht erkannt. Ich biete dir an, dein Selbstvertrauen zu stärken, so dass du unbeschwerter und nicht so verkrampft durchs Leben gehen kannst. Denn das Leben ist wunderbar und man sollte jeden Augenblick davon genießen.
Ich kann dich natürlich nicht zwingen, mein Angebot anzunehmen, aber schau es dir erst einmal an. Danach kannst du immer noch entscheiden, ob du weiter mitmachen möchtest, oder ob du das alles für Blödsinn hältst.“

Hatte sie richtig gehört? Er wollte ihr Unterricht im Selbstvertrauen stärken geben? Das war ja der absolute Gipfel der Unverschämtheit. Was bildete sich dieser Möchtegernpädagoge eigentlich ein? Als ob sie es nötig hätte, sich von ihm irgendwelche Nachhilfe ihr Leben betreffend geben lassen zu müssen. Sie war mit ihrem Leben, so wie es war, durchaus zufrieden.

„Du kennst doch sicher den verlassenen Parkplatz am ehemaligen Einkaufszentrum. Komme am Montag um sieben Uhr abends zu ihm. Dir wird doch keine schlimme Erfahrung passieren, das versichere ich dir. Es wäre schön, wenn du mich dort nicht vergebens warten lässt. Also, am Montag um sieben Uhr abends.“

Mit diesen Worten machte er kehrt und entfernte sich von Haruka, ohne sich noch einmal umzudrehen. Diese blieb noch eine ganze Weile wie angewurzelt stehen und fragte sich, was das alles zu bedeuten hatte. Als sie ihren Weg nach Hause fortsetzte, kam ihr die zweite Begegnung mit diesem merkwürdigen Nobu wie ein Traum vor. Was war mit ihm los? Vielleicht hatte er ein Helfersyndrom, das er an jemandem ausleben musste. Doch warum musste er sich dazu ausgerechnet sie aussuchen? Sie hätte ihn gar nicht so viel reden lassen dürfen, sondern hätte schon gleich am Anfang seines Monologs klarstellen sollen, dass er sich seinen Atem sparen konnte.

Aber nun war er weg. Vielleicht sah sie ihn nie wieder, das wäre eine wirkliche Erleichterung für sie. Sie kannte den Grund nicht, aber in irgendeiner Weise machte Nobu ihr Angst. Er hatte ihr zwar nie etwas getan und war immer auf Abstand geblieben, doch trotzdem ging da eine Ausstrahlung von ihm aus, die sich Haruka nicht erklären konnte, die ihr aber einiges Unbehagen bereitete.

Eine Sache war jedenfalls von vornherein klar: auf gar keinen Fall würde sie am Montag auf diesem Parkplatz auftauchen, um sich von ihm herumkommandieren zu lassen.

*****

„Was hat denn so lange gedauert?“, wollte Chizuru von ihrem Klassenkameraden wissen, nachdem er am Eisentor aufgetaucht war.

„Siehst du den Jungen, der vor mir hier raus gekommen ist?“ Takeo deutete mit dem Zeigefinger auf den Unbekannten, der zwei Sekunden vor ihm das Tor passiert hatte.

Chizuru nickte.

„Das ist dieser mysteriöse Typ, der wissen wollte, ob ich Takeo bin, der mich heute morgen umgerannt hat und dessen Schulbuch in meinem Rucksack gelandet ist.“

„Und was wollte er jetzt?“

„Sein Schulbuch wiederhaben. Und außerdem hat er mir gesagt, wer er ist.“

„Echt? Dann sei doch froh, so weißt du jetzt wenigstens, mit wem du es zu tun hast. Wer ist das denn?“

Takeo senkte seine Stimme einige Oktaven tiefer, als er antwortete: „Er ist der Schlüssel zu Reichtum und Wohlstand, den ich durch ihn erlangen werde.“

Die Teenagerin starrte ihn an, als sei er schwachsinnig. „Was?“

„Ja, so etwas ähnliches hat er gesagt“, lachte Takeo. „Vollkommen plemplem. Muss wohl direkt aus der Klapsmühle an diese Schule gekommen sein. Vielleicht mimt er gerne den geheimnisvollen Rächer und Beschützer der Unterdrückten. Ich weiß es nicht. Jedenfalls sollte man ihn nicht ernst nehmen.“

„Ich weiß nicht“, meinte Chizuru. „Wenn er wirklich nicht mehr alle Nadeln an der Tanne hat, dann ist er vielleicht gefährlich.“

„Der ist so gefährlich wie eine gekochte Bandnudel“, grinste Takeo. Dann schaute er zur Straße und entdeckte das weiße Auto, das am Straßenrand parkte.

„Augenblick, ich bin gleich wieder zurück.“

Er ging um den Wagen herum und teilte dem Fahrer mit, dass er noch für etwa eine halbe Stunde ins Schülercafé gehen würde. Dann kehrte der Junge zur wartenden Chizuru zurück.

„Mein Onkel, er wollte mich abholen. Aber ich habe ihm gesagt, dass ich noch etwas trinken gehe. Er holt mich in einer halben Stunde am Café ab. Wo ist es denn eigentlich?“

Gemeinsam machten sich die beiden Jugendlichen auf den Weg zum Café. Dort angekommen suchten sie sich einen freien Tisch und bestellten jeder eine heiße Schokolade.

„Gefällt dir die neue Schule besser als deine alte in Houston“, wollte Chizuru wissen, während sie auf ihre Getränke warteten.

„Auf jeden Fall ist sie um einiges größer. Außerdem hatten wir in meiner alten Schule nur bis mittags Unterricht und konnten dann nach Hause. In dieser Hinsicht war sie doch besser. Aber hier wird man wenigstens mittags verpflegt. Und das Essen hier schmeckt sogar richtig gut.“

„Man muss uns ja auch bei Laune halten“, meinte Chizuru schmunzelnd. „Und von den Anforderungen her?“

„Hier ist alles deutlich schwerer als in Houston. Was wir hier in einer Unterrichtsstunde durchnehmen, ist der absolute Hammer. Auf meiner alten Schule hätten wir uns dafür eine Woche Zeit gelassen.“

„Dafür geht hier aber alles gelassener vonstatten. Wir haben nicht so viele Schüler in einer Klasse wie in normalen Schulen. Trotzdem bin ich gespannt, was sie uns noch so alles beibringen. Immerhin ist man ja sechs Jahre hier. Das ist eine lange Zeit, zumal wir ja auch von früheren Schulen schon so einiges wissen.“

Takeo zuckte mit den Schultern. Er wusste auch nicht, was sie noch so alles an Unterrichtsstoff erwartete. Und er hatte jetzt auch keine Lust, über die Interna von irgendeiner Schule zu sprechen. Sie hatten frei und da musste man sich nicht auch noch in seinen Gesprächen mit der Carlton Jouchi Daigaku beschäftigen.

„Wie bist du denn an diese Schule gekommen? Oder hast du schon immer hier gelebt?“, stellte er nun seinerseits Chizuru eine Frage.

Diese schüttelte den Kopf. „Nicht direkt hier in Carlton, aber ich wohne in Merrick. Das ist ein größerer Nachbarort hier. Vielleicht hast du schon mal von ihm gehört. Wir haben ein ziemlich großes Industriegebiet.“

Takeo wurde hellhörig. Natürlich kannte er Merrick, zumindest vom Namen nach. Selbst gewesen war er dort nie, aber ganz bestimmt würde er eines Tages diese Stadt besuchen. Auch das von Chizuru erwähnte Industriegebiet kannte er vom Hörensagen, denn dort hatte sich die Tanoshii-Enterprises, die Firma seines Vaters, angesiedelt.

„Ja, von Merrick habe ich schon mal gehört. Ich war aber noch nie dort. Wir wohnen ja noch nicht mal eine Woche hier und die ganze Zeit war Schule. Aber vielleicht können wir zusammen mal nach Merrick fahren.“

„Gerne, es ist nicht sehr weit. Und bestimmt wirst du Merrick früher sehen, als du ahnst. Zum Beispiel könnte unsere nächste Nachhilfestunde bei mir zu Hause stattfinden.“

„Okay“, stimmte Takeo zu. „Was machst du denn noch so?“

„Ich zeichne gerne. Es ist richtig schön, sich draußen irgendwo hinzusetzen und auf einem Zeichenblock das festzuhalten, was man gerade sieht. Vollkommen egal, was: Gebäude, Plätze, Brunnen, Wiesen, den Himmel, Tiere … ich zeichne alles, was mir vors Auge kommt und sich eine möglichst lange Zeit nicht oder nur sehr langsam bewegt. Das ist spannend. Du hast ein leeres Blatt vor dir und kannst selber dabei zusehen, wie es sich mit Leben füllt.“

Takeo spürte die Begeisterung, mit der Chizuru erzählte. Sie schien das Zeichnen wirklich mit Leidenschaft zu betreiben.

„Früher bin ich gerne geritten, aber das mache ich heute nur noch manchmal und nicht mehr so regelmäßig. Und außerdem spiele ich noch Mahjong. Das richtig klassische japanische Riichi Mahjong mit den 136 Steinen. Kennst du es?“

Takeo schüttelte den Kopf.

„Es ist wirklich interessant. Ich zeige es dir mal, wenn du magst.“

„Sehr gerne“, sagte der Junge.

Die Bedienung brachte ihnen ihre Getränke und dann war die Schülerin wieder an der Reihe, Fragen zu stellen.

„Was machst du denn so in deiner Freizeit?“

„Ich baue sehr gerne Modelle zusammen. Flugzeuge, Eisenbahnen, Schiffe, das ganze Programm. Darüber kann ich auch die Zeit vergessen. Wenn ich vor einem Modellbausatz hocke, dann gibt es nichts mehr um mich herum. Ich bin total versunken in meine Arbeit.“

„Das Anmalen ist das schlimmste, hm?“

Takeo lachte. „Ja, das ist manchmal wirkliche Fummelarbeit. Vor allem, wenn die Modelle klein sind und viele unterschiedliche Details aufweisen. Da muss man sich dann wirklich Mühe geben und ganz vorsichtig sein, dass man nicht versehentlich Farbe irgendwohin pinselt, wo sie gar nicht hingehört.“

Er trank einen Schluck von seinem Kakao, der nicht zu süß war und hervorragend schmeckte.

„Ach, das wollte ich dich noch fragen“, fiel ihm etwas ein. „Wie schaffst du es eigentlich, im Unterricht immer die richtigen Antworten zu geben, während du dich auch noch mit jemandem unterhältst?“

„Das würde ich auch gerne wissen“, gab das Mädchen zu. „Tatsache ist, dass ich wirklich in der Lage bin, mit jemandem ein Gespräch zu führen und genau aufzunehmen, was um mich herum geschieht. Also, ich kriege vom Unterricht wirklich alles mit. Auch wenn ich mit meinen Gedanken anscheinend in einem privaten Gespräch bin. Ich meine, ich bin natürlich wirklich in einem Gespräch, aber die Aufnahme des Stoffes leidet nicht darunter.“

„Das ist ja echt unglaublich. So etwas möchte ich auch gerne können.“

„Ich kann dir eine ganze Menge beibringen, aber das leider nicht.“

„Schade.“

Plötzlich fiel Takeo noch eine weitere Frage ein, die er seiner Mitschülerin schon an seinem ersten Schultag stellen wollte, dann aber wieder total vergessen hatte.

„Einer der Zwillinge hat zu dir ‚Dämonenjägerin’ gesagt. Was sollte das denn?“

„Vergiss es. Seit ich erzählt habe, dass ich unheimlich gerne Horrorfilme sehe, habe ich diesen Spitznamen. Der ist aber nicht erst hier entstanden, sondern wurde mir schon in meiner früheren Schule nachgerufen.“

„Also, ich werde dich ganz bestimmt nicht so nennen.“

Chizuru lächelte ihn an.

„Und ich weiß immer noch nicht, was dein Vater arbeitet.“

Diese Frage hatte Takeo befürchtet. Insgeheim hatte er gehofft, dass das Mädchen sie vielleicht vergessen würde, aber jetzt musste er sich etwas einfallen lassen. Die Wahrheit sagen wollte er auf gar keinen Fall, auch Chizuru gegenüber nicht.

„Er arbeitet in einer Fabrik und guckt dort, dass alles reibungslos läuft.“ Diese Antwort war noch nicht einmal gelogen.

„Scheint ein verantwortungsvoller Job zu sein“, mutmaßte seine Klassenkameradin.

„Ja, ist nicht gerade einfach. Aber er schafft das schon. Und deine Eltern, was machen die?“

„Sie sind geschieden. Mein Dad lebt irgendwo an der Nordküste. Er ist einen Monat da und im nächsten schon wieder woanders. Ich wohne bei meiner Mum. Sie näht in einer Fabrik in Merrick Kimonos.“

„Hast du Geschwister?“

„Nein, dabei habe ich mir immer einen kleinen Bruder gewünscht. Wie ist es mit dir?“

„Ich bin auch ein Einzelkind. Hat auch Vorteile. Dann muss man seine Schokolade mit niemandem teilen.“

Chizuru lachte. Es war angenehm, mit Takeo hier in diesem Café zu sitzen, etwas zu trinken und sich mit ihm zu unterhalten. Er war lustig, klug und gutaussehend, außerdem sympathisch und vertrauenerweckend. Viel mehr konnte sie im Moment noch nicht über ihn sagen, aber sie hoffte, dass sie ihn mit der Zeit noch viel besser kennenlernen würde. Auch er schien sich über das momentane Zusammensein zu freuen, jedenfalls machte er diesen Eindruck. Er hatte sich zwar versteift, als die Frage nach dem Beruf seines Vaters von ihr gestellt worden war, sich dann aber wieder entspannt. Irgendetwas war anscheinend mit seinem Vater los. Vielleicht hatte Takeo kein gutes Verhältnis zu ihm. Doch eigentlich hatte sie das gar nicht zu interessieren. Trotzdem war die Neugierde in ihr geweckt, warum er sich offenbar unbehaglich fühlte, wenn die Rede auf seinen Vater kam.

Chizuru beschloss, diese Neugierde nicht zu befriedigen, jedenfalls nicht von sich aus. Wenn er ihr ein wenig mehr erzählen wollte, dann würde sie ihm natürlich zuhören. Aber sie würde nicht selbst irgendwelche Anstrengungen unternehmen, um etwas herauszufinden.

Nach etwas über einer halben Stunde bezahlten die beiden Jugendlichen ihre Getränke und dann machte sich jeder von ihnen auf den Heimweg.

*****

Chiyo befand sich auf der anderen Straßenseite und beobachtete durch das Fenster die beiden Erstklässler der Carlton Jouchi Daigaku. Als die zwei die Schule verlassen und in Richtung des Cafés aufgebrochen waren, war sie ihnen gefolgt. Der Weg hatte sie zum Schülercafé geführt.

Dann hatte Chiyo die Straßenseite gewechselt und die beiden aus der sicheren Deckung einer Häuserwand beobachtet. Der Junge, der ihre neueste Errungenschaft werden sollte, und das Mädchen hatten etwas zu trinken bestellt und sich ansonsten nur unterhalten. Nichts weiter. Offenbar lief nichts zwischen den beiden, aber ganz genau wissen konnte man das nie. Immerhin war es gut und gerne möglich, dass sich mit der Zeit eine Beziehung zwischen den beiden entwickelte. Wenn sie häufiger zusammen ausgingen, dann war die Gefahr groß, dass es zwischen ihnen knisterte und sich etwas entwickeln würde.

Chiyo war sich darüber klar, dass sie das unbedingt verhindern musste. Zumal ihre Rivalin auch gar nicht so schlecht aussah.

Chiyo knirschte mit den Zähnen. Das kam überhaupt nicht in Frage. Nie und nimmer würde sie es zulassen, dass sie Takeo mit diesem Mädchen teilen würde. Entweder alles oder … Nein, es gab überhaupt kein ‚oder’. Diese Möglichkeit stand gar nicht zur Diskussion, weil sie überhaupt nicht existierte. Ihr würde Takeo gehören, nur ihr ganz alleine. Sie würde schon dafür sorgen, dass dieser überaus attraktive Junge nur sie zur Favoritin auserwählen würde.

„Du wirst ihn nicht kriegen“, zischte sie leise. „Nur ich habe Anspruch auf ihn und niemand sonst. Und dabei solltest du mir besser nicht ins Gehege kommen, du armseliges Würstchen. Sonst mache ich dich so fertig, dass du es bedauern wirst, hinterher noch am Leben zu sein.“



Kommentare zu "Rempeleien"